Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0298 - Im Haus der schlimmen Träume

0298 - Im Haus der schlimmen Träume

Titel: 0298 - Im Haus der schlimmen Träume
Autoren: Manfred Weinland
Vom Netzwerk:
»Myrja…«, flüsterte Ferguson verstört und drohte vor maßloser Überraschung nüchtern zu werden. Seine Knie knickten leicht weg, und er kam ins Taumeln. Aber er fing sich ab und stakste, während er den Namen immer wieder wiederholte, hinter der schemenhaften Gestalt im hauchdünnen Nachthemd her.
    Seine Gedanken jagten sich, wirbelten wild durcheinander, suchten nach einer Erklärung, die es nicht gab.
    Was, bei allen Heiligen, machte die blutjunge Tochter des Dorfwirtes nach Mitternacht noch in diesem Aufzug auf der Straße…?
    Ein Rendezvous?
    »Bah!« stieß Kilroy grimmig hervor. Myrja war keine Närrin. Sie war das hübscheste und fröhlichste Mädchen des Ortes und immer zu einem Spaß oder kleinen Flirt aufgelegt, aber wenn sie sich wirklich heimlich mit einem Burschen treffen wollte, tat sie das sicher nicht in diesem unziemlichen Aufzug! Nein…
    Ferguson kniff die Augen zusammen und sah, wie Myrja einen Steinwurf von ihm entfernt die letzten Häuser des Dorfes hinter sich ließ und die schlecht ausgebaute Straße zum Nachbarort erreichte.
    Tuthbantry war ein Zweihundert-Seelen-Dorf, und von diesen 200 schliefen nach Mitternacht mindestens 190! Der Rest sammelte sich dort, von wo Kilroy Ferguson gerade kam: um Arthur O’Keefes Theke!
    Ferguson überlegte scharf. Allmählich hob sich der Nebel um seinen Verstand; das Delirium verflog. Ein Umstand, den er mit einem lachenden und einem weinenden Auge zur Kenntnis nahm - immerhin hatte ihn das Erlangen seines bevorzugten Zustands einiges an Zeit und Geld gekostet…
    Sollte er Myrja nachlaufen? Das Mädchen war schnell, viel schneller als er auf seinen Gummibeinen. Oder sollte er in den Pub zu Arthur zurückkehren und ihn darüber aufklären, daß seine Tochter gerade das Dorf verlassen hatte, halbnackt und lautlos wie ein Dieb in der Nacht…, statt oben in ihrem Jungmädchenzimmer zu liegen und in Orpheus’ Armen zu schlummern?
    Ferguson stoppte mitten im Lauf, als wäre er gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt.
    Plötzlich war das Mädchen im wehenden Nachthemd verschwunden. Spurlos. Als hätte es der Erdboden verschluckt.
    »Das glaubt mir keiner…«, lallte Kilroy und rieb sich selbst die Augen, weil er unsicher wurde, ob er nicht tatsächlich seiner alkoholisierten Einbildung zum Opfer gefallen war.
    Er hatte jetzt selbst den Ortsausgang erreicht. In seinem Rücken duckten sich die letzten Häuser von Tuthbantry wie müde, altersschwache Kolosse; vor ihm verlor sich eine schmale, schlaglöchrige, unmögliche Straße im fahlen Mondschein, rechts und links von umgepflügten Äckern gesäumt…
    Keine Versteckmöglichkeit -selbst in diesem unwirklichen Zwielicht nicht!
    »Kilroy Ferguson, jetzt kannst du langsam anfangen, dich um deine Weiße-Mäuse-Zucht zu kümmern«, murmelte der Ire säuerlich. Bei den einen fing’s mit Mäusen an, bei ihm mit Mädchen. Naja, dann schon lieber Mädchen, dachte Kilroy seufzend.
    Doch letzte Zweifel blieben. Für einen Spuk war das Ganze einfach eine Spur zu echt erschienen!
    Blieb die Möglichkeit, ganz sicherzugehen. Allerdings unter der Gefahr, sich zum Gespött des ganzen Dorfes zu machen.
    Obwohl, wenn er es geschickt anstellte…
    Ferguson machte auf dem Absatz kehrt.
    Plötzlich war ihm kalt. Eiskalt. Und ohne daß er etwas dagegen tun konnte, stieg sie plötzlich aus seinem Herz, dehnte sich aus und kroch durch jede Faser seines schlappen Körpers… Die Angst! Unerklärliche, bösartige, schreckliche Angst!
    Kilroy Ferguson nahm die Beine in die Hand und rannte, wie von tausend Teufeln gejagt, ins Dorf zurück.
    ***
    Irgendwo materialisierte das Grauen. Irgendwo stahl es sich durch die Türen der Nacht, orientierte sich kurz und verschlang sein erstes Opfer…
    ***
    Myrja O’Keefe ließ die letzten Häuser von Tuthbantry weit hinter sich. Ihre Wangen glühten, ihr Herz hämmerte bis zum Hals. Die Nacht legte sich wie ein düster glimmender Mantel um ihre zierlichen Schultern, und feines Mondsilber hing wie ein filigranes Spinngewebe in ihrem schwarzen Haar.
    In ihrem Blut sang die lockende Stimme und zog sie immer weiter in die ferne Dunkelheit, fort aus dem illusionären Schutz des schlafenden Dorfes.
    Ich will nicht, will nicht, sagte Myrjas Vernunft. Aber die Stimme des Blutes war stärker.
    Vor dem Mädchen wuchs die gewaltige Silhouette des Hauses empor.
    Die Tür stand offen.
    Frostiges Licht fiel auf die braune Erde unter Myrjas Füßen.
    Das Mädchen betrat das Haus.
    Hinter ihr erlosch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher