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Spiegelblut

Spiegelblut

Titel: Spiegelblut
Autoren: Uta Maier
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färbte sich irgendwo in mir karmesinrot. Irritiert schnupperte ich in die Luft. Es kam nicht von außen, der Geruch und die Farbe, das kalte Metall. Es war in mir drin. Mein Zorn war stark! Das war ein Anfang. Zorn war besser als Angst. Besser als das Kuschen vor dem eigenen Spiegelbild. Herzlichen Glückwunsch, Coco Lavie!
    Dass dies bereits der Beginn eines ganz anderen Lebens sein würde, ahnte ich nicht. Ich schwöre, ich hätte sonst in den Spiegel dieses kleinen Medaillons gesehen!

2. Kapitel
    »Es gibt auch Spiegel,
in denen man erkennen kann,
was einem fehlt.«
    FRIEDRICH HEBBEL
    Ich lief zu Fuß ein paar Blocks weiter, um zur nächsten U-Bahn-Station zu kommen. Ich hatte nichts Konkretes vor, das Wetter war schön, eine leichte Brise schwängerte die Luft des Spätnachmittags mit Abgasen der nahen Autobahn und der letzten Blüte des Sommers. Vor der Station traf das alte Glasgow auf das neue. Die Arbeiter- und Fabrikstadt trotzte den Sanierungsmaßnahmen wie Frost den ersten Sonnenstrahlen. Lange Zeit hatten wir in Drumchapel gelebt, einem Elendsviertel in der Peripherie, Eloi ohne Arbeit und wie der Rest des Viertels stets betrunken, während die Stadt alles handelte, was der Markt bot: Fische, Tabak, Alkohol, Menschen.
    Spontan setzte ich mich auf die Mauer gegenüber der U-Bahn und kramte mein iPad aus der Tasche. Viele Stunden hatte ich dafür in dem kleinen Restaurant Ma Petite kellnern und putzen müssen, um mir dieses wertvolle Stück Unabhängigkeit leisten zu können. Das Ma Petite war ein Glücksgriff für mich. Es lag unterirdisch in einem Kellergewölbe, ich konnte mich in dem gesamten Lokal gefahrlos bewegen, ohne dass irgendwelche Glasscheiben in mein Blickfeld gerieten. Dem Rundspiegel in der Toilette konnte ich ausweichen. Ich brauchte den Job, um meine und Elois Miete bezahlen zu können, und ich musste mir demnächst ernsthaft Gedanken über einen Ausbildungsplatz machen.
    Im Schneidersitz fuhr ich mein iPad hoch und loggte mich sofort in die Glasgow-Fancy-Freaks ein – eine Internetplattform für alle, die sich von der Welt missverstanden fühlten, anders waren oder anders glaubten als der Rest der Menschheit. Dort war mein eigentliches Zuhause, und der einzige Ort, an dem man mich vermisste, wenn ich mich nicht regelmäßig meldete. Mein Postfach blinkte. Die Nachricht kam von Lester, einem der wenigen, die im Forum von meiner Phobie wussten. Er war on, und ich drückte auf Chat.
Lester: Happy Birthday Schneewittchen. Wie war dein Tag? Sehr schlimm? Ich sitze gerade an den alten Bahnterrassen in Kirklee und warte darauf, dass etwas passiert! Komm doch vorbei!
Coco: Hey Lester, keine Treffen, nur Kontakt übers Netz. Danke für die Glückwünsche. Was machst du in Kirklee? Was sollte denn passieren? Hast wohl die Hoffnung auf Vampire noch nicht aufgegeben, was?
    Er glaubte tatsächlich auch an Dämonen aller Art, ein Grund, weshalb er bei den Fancy-Freaks agierte. Und das ausgerechnet in Glasgow, der Stadt der Morde und der Messer, nirgendwo war die Chance größer, bei Gewitter statt von einem Blitz von einem Messer getroffen zu werden. Im Gegensatz zu mir hoffte Lester inständig darauf, endlich auf eine von der Nacht gepeinigte Seele zu stoßen.
Lester: Das war ein Witz! Ich würde mich niemals mit dir treffen wollen, es sei denn, du würdest Blut trinken und hättest Reißzähne. Vielleicht bist du ja auch abartig hässlich … obwohl du dich Schneewittchen nennst. Du kennst doch die Foren-Regeln: nur virtueller Kontakt!
Coco: Ich komme gerade vom Friedhof!
Lester: Das tut mir leid, Mann!
    Ich hielt inne, tippte dann, was mir den ganzen Tag schon durch den Kopf ging:
Coco : Ich würde gerne feiern wie eine normale Achtzehnjährige. Heiße Party, tolles Outfit, Sky-Heels, Alkohol bis zum Morgengrauen, Freundinnen, die mit mir tanzen und mir sagen, wie ich den heißen Typen im schwarzen Armani-Hemd rumkriegen kann. Du weißt schon, all dieses Zeug, was die Leute machen, die nicht bei den Fancy-Freaks sind.
Lester: Ich dachte, du magst uns. Hey, wer ist dieser Typ im Armani-Hemd? Verliebt?
Coco: Natürlich nicht, aber es wäre schön, wenn es einen gäbe.
Oh ja, das wäre wirklich schön!
Lester: Ich weiß. Hör mal, die Sache mit deinem Bruder tut mir leid …
Lester kannte meine Geschichte, zumindest in den Grundzügen.
Lester: Geh einfach Party machen. Kauf dir das heißeste Teil der Stadt und geh ins Arches, die machen heute Death Disco, das passt doch. Aber Vorsicht, bei der
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