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Spiegelblut

Spiegelblut

Titel: Spiegelblut
Autoren: Uta Maier
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Musik dort darfst du kein Epileptiker sein!
Coco : Death Disco ist makaber.
    Ich überlegte kurz und schrieb ihm die Sache mit dem Amulett. Mittlerweile hatte ich das Kettchen um mein Handgelenk geschlungen und das Medaillon unter den Saum meines Sweatshirts geschoben. Lesters nächster Satz war kurz und knapp:
Lester : Komm nach Kirklee! Jetzt gleich! Ich habe eine Theorie!
Coco: Was? Und die Foren-Regeln?
Lester: Vergiss sie!
Coco: Ich denke darüber nach.
    Eigentlich hatte ich keine Lust, mich mit irgendjemand von den Fancy-Freaks zu treffen. Verrücktheiten im Netz auszutauschen war eine Sache, sie aus der virtuellen Welt in die Realität zu holen die andere. Und wer konnte mir garantieren, dass Lester nicht tatsächlich ein Freak war? Einer, der unschuldige Mädchen in die Tunnel der einsamen Kirklee-Terrassen lockte?
    Ich verstaute das iPad in der Tasche und stopfte meine langen, dunklen Haare unter die Kapuze. Ich schwitzte entsetzlich. Seufzend sah ich einer Gruppe pubertierender, leicht bekleideter Mädchen hinterher, die schnatternd die Treppen zur U-Bahn hinunterliefen, und hatte plötzlich selbst das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Ich wandte den Kopf nach allen Seiten, so gut es mit der Kopfbedeckung möglich war. Es herrschte das übliche Treiben wie vor jeder U-Bahn-Station, unter der einheitlichen Masse an Fahrgästen war es schwierig jemanden auszumachen. Ich hasste es, wenn man mich anstarrte wie ein zweiköpfiges Kalb. Es verunsicherte mich zutiefst, denn es bestärkte mich darin, anders zu sein und aus der Menge hervorzustechen. Ich schob es meist auf schlecht sitzende Klamotten oder die obligatorische Kapuze zurück. Beides hätte eher zu einem Hip-Hop-Rapper gepasst als zu einer gerade Achtzehnjährigen, die neben dem üblichen Mainstream auch Opern hörte. Und das nicht erst seit Paul Potts grandiosem Auftritt – to sing Opera .
    Aber dieses Mal ging das Gefühl über ein normales Beobachtetwerden hinaus. Es war schneidender, als brannte sich der Blick wie ein Laser von hinten durch meine Schulterblätter. Hitze fraß sich in mein Gewebe, bis hinunter zum Wirbelkanal. Keuchend sprang ich auf, das iPad in den Händen, und fuhr herum. Aber nichts, da war gar nichts.
    Nur … ich blinzelte, nur ein vertrauter Duft, den ich kannte. Oder war es gar kein Duft? Etwas lag in der Luft, als hätte jemand eine Erinnerung zurückgelassen, die mein Herz zusammenzog.
    Ich beschloss zu verschwinden, verstaute das iPad in meiner Tasche und lief eilig die Stufen zur U-Bahn hinab. Die Graffiti, die Zigarettenstummel und leeren Bierflaschen erinnerten mich an Drumchapel, aber ich verbot mir, es zu vermissen. An der Plattform hielt ich meinen Kopf gesenkt. U-Bahn-Fahren war für mich wie eine Teufelsmesse für den Gläubigen. Überall Scheiben, so dass ich gezwungen war, stur auf den Boden zu starren. Ich stieg ein, ließ mich auf den erstbesten Platz neben einen kahl geschorenen Hooligan fallen und schloss die Augen. Müdigkeit vortäuschen war immer eine gute Alternative.
    Ich spürte den intensiven Blick und das Stechen im oberen Rücken, noch ehe ich die Augen wieder öffnete. Er saß in der gegenüberliegenden Sitzreihe vor einer Wandverkleidung, fast am anderen Ende des Wagens, und betrachtete mich mit einer Mischung aus unverhohlener Neugierde und Faszination. Seine dunkelblaue Kapuze warf einen geisterhaften Schatten auf das blassgoldene Gesicht, seine Konturen schienen schemenhaft, beinahe schon unwirklich. Das Einzige, das ich wirklich klar erkennen konnte, waren seine eisblauen Augen und das lange, helle Haar, das ein wenig unter der Kopfbedeckung hervorschimmerte wie ausgebleichter Flachs. Unsere Blicke trafen sich nur kurz, zu kurz, um irgendetwas von ihm genau zu beschreiben.
    Und doch gab es da dieses Aufflackern einer uralten Vertrautheit, versetzt mit beängstigender Fremde. In meinen Ohren knisterte es, als würde jemand trockene Äste anzünden, gleichzeitig stieg mir der Geruch eines Holzkohlefeuers in die Nase. Sein Gesicht brannte sich in mir ein, obwohl ich es nur Sekundenbruchteile gesehen hatte.
    Ich wandte den Blick schneller ab, als ich wollte, und begann, die grell orangefarbenen Karos des Polsterbezuges zu zählen. Ich kam bis zehn, dann drehte ich wie unter Zwang erneut den Kopf und blinzelte vorsichtig in seine Richtung. Er saß vornübergebeugt und stützte die Unterarme auf seine Oberschenkel genau wie ich. Sein Gesicht war mir zugewandt, aber nur leicht, fast fragend, ich
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