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SPIEGEL E-Book: Gutenbergs neue Galaxis: Vom Glück des digitalen Lesens (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Gutenbergs neue Galaxis: Vom Glück des digitalen Lesens (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Gutenbergs neue Galaxis: Vom Glück des digitalen Lesens (German Edition)
Autoren: Hilmar Schmundt
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sich. Sie scheinen nie das Vergnügen verspürt zu haben, ein antiquarisches Buch in der Hand zu halten, das phantastisch illustriert, großartig gebunden und durch zig Hände gegangen ist. Nie scheinen Sie als Kind darüber nachgedacht zu haben, wer dieses Buch wohl schon vor Ihnen in Besitz hatte und wo es womöglich schon gewesen ist. Nie scheinen Sie Sand zwischen den Seiten gefunden zu haben, nie scheinen Sie Stockflecken irischen Whiskeys zwischen den Seiten einer Erstausgabe von Dylan Thomas gesehen zu haben, nie scheint Ihr Vater Ihnen ein Buch aus seinem Bestand geschenkt zu haben mit dem Hinweis, dass es einst in einer Bombennacht Schutz und Trost gespendet hat. Wie gesagt, Sie tun mir wirklich leid.“
    Geschichtsbewusstsein, Hochkultur, Familienwerte. All das scheint für manche Bücherfreunde untrennbar mit dem bedruckten Papier verbunden zu sein. Bücher sind nicht ganz von dieser Welt: Sand zwischen den Seiten. Whiskey von Dylan Thomas. Papas Kriegserinnerungen.
    Die erhitzten Debatten um den Wert des Papiers haben etwas von Glaubenskrieg, sie atmen den Geist einer jahrtausendealten Buchreligion. Wie ist das zu erklären? Als Johannes Gutenberg im großen Stil zu drucken begann, natürlich Bibeln, wurde das strahlend weiße Papier aus alten Textilfetzen gewonnen. Die Veredelung von Lumpen in heilige Bücher faszinierte viele Zeitgenossen. Der Produktionsvorgang wurde „mit der Wiederauferstehung verderbter Natur verknüpft“, schreibt der Literaturkritiker Lothar Müller in seinem gelehrten Sachbuch „ Weiße Magie – die Epoche des Papiers“. (Leider immer noch nicht als E-Book erhältlich, aber hier zum Trost zumindest schon digitalisiert.) Müller zitiert eine alte Abhandlung aus dem Jahr 1698, welche das Papier zum Sinnbild moralischer Läuterung überhöht:
    „Der alte Lumpe kommt durch Fleiß
    Zu neuen Nutzen schön und weiß;
    Solst Du mein Hertz verächtlich bleiben?
    Hervor aus altem Sünden-Stand
    Ganß neu und rein, daß Gottes Hand
    Auff dich mög seinen Willen schreiben.“
    Derlei Zuschreibungen schwingen heutzutage möglicherweise mit, wenn über das Für und Wider von E-Books diskutiert wird. Aber die Halbwertszeit von Modernisierungs-Schocks ist begrenzt. Mitte der Neunziger Jahre empfanden viele Leute noch Mobiltelefone als Zumutung. Bald dürften wir uns darüber wundern, wie futuristisch und bedrohlich vielen das E-Book Anfang der Zehnerjahre erschien. Wenn jemand dieses Buch in zehn Jahren noch einmal liest, wird er sich vielleicht fragen, warum die gebildeten Stände damals so in Aufruhr gerieten. Es ging doch nur um eine kleine Änderung der Lesegewohnheiten, oder?
    Einen Moment des Umbruchs konnte ich im August 2012 beobachten, den Sog des Neuen, den Schmerz, das Alte aufzugeben. Eine Schlange von Leuten, bepackt mit Rucksäcken, stand um den Sony-Laden am Potsdamer Platz. Einige hatten sogar Sackkarren voller Bücher dabei. In einer Werbeaktion verschenkte Sony an diesem Tag 200 neue Lesegeräte. Wer einen E-Book-Reader „PRS-T2“ haben wollte, musste einen Meter Papierbücher abgeben.
    Sophie Kirillow stand zehn Stunden in der Schlange an diesem Tag, eine Schülerin aus der 12. Klasse, mit einem Karton voller Bücher. Sie wolle Lektorin werden, sagte sie. Die Bücher im Karton habe sie nicht von zu Hause mitgebracht, sondern aus dem Altpapier geholt, „gerettet“, wie sie sagte. „Bücher wegwerfen, das geht ja gar nicht.“ Sophie gab ihre Kiste ab und bekam ein rotes Lesegerät.
    Bücher sind ein besonderes Gut, gerade in Deutschland wird ihnen viel Ehrfurcht entgegengebracht. Die Buchpreisbindung soll sie davor bewahren, im Sonderangebot zu landen, die Mehrwertsteuer ist von 19 auf sieben Prozent reduziert. Allerdings gilt das nur für Bücher auf Papier. Als hinge der kulturelle Wert eines Romans von seiner Druckunterlage ab. Vielleicht ist das ein fiskalisches Echo der alten Papierverehrung: „Ganß neu und rein, daß Gottes Hand Auff dich mög seinen Willen schreiben.“ Die Fans gedruckter Bücher geben sich gerne als Verfechter immaterieller Werte, doch ihre Argumente klingen in meinen Ohren oft eigenartig materialistisch. Papier als Fetisch.
    Apple versucht mit dem Programm iBooks, den Übergang ins Digitale schonend zu gestalten. Beim Umblättern sieht es so aus, als wölbe sich eine Seite empor. Zum Glück kann ich diesen nostalgischen Kitsch auch abschalten, ich bevorzuge das klare, kalte Weiterschalten von Seite zu Seite, die Umblätter-Animationen
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