Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sperrzone Fukushima

Sperrzone Fukushima

Titel: Sperrzone Fukushima
Autoren: William T. Vollmann
Vom Netzwerk:
Verantwortung.«
    Sein Arbeitgeber war ein Subunternehmen von Tepco namens Nito Resin. Er werde noch immer bezahlt, sagte er; das Gehalt für den vergangenen Monat sei eingegangen.
    »Wie lange werden Sie wohl noch in der Großen Palette leben?«
    »Keine Ahnung. Das hängt von der Strahlung hier ab. Wenn die Einschränkungen nicht aufgehoben werden, werde ich kaum zurückkommen können. Die Strahlung ist hier recht niedrig, 0,5oder 0,6 Millisievert. 37 Meine Tochter ist im Zwanzig-Kilometer-Radius. Sie und ihre Mutter sehen nach ihrem Haus. 38 Ich glaube, für kurze Zeit darf man hinein.«
    An der Grenze des Grundstücks mit seinem starken Gefälle floss unter den Zypressen ein brauner Bach. Auf der anderen Straßenseite hatte er seinen Garten: Daikon-Rettich, Lauchzwiebeln, Kohl, grüne Bohnen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, ob man essen konnte, was er anbaute.
    Wir machten unsere Abschiedsdiener und fuhren weiter, während er sich auf der Auffahrt mühsam beugte und langsam weiter aus seiner türkisen Plastikkanne eine Pflanze begoss. Im Haus weinte ein kleines Kind, und mein Dosimeter zeigte weiter angenehme 2,7 Millirem an. An der Kreuzung bogen wir rechts ab, wie er es uns geraten hatte, und der Fahrer sagte: »Normalerweise sterben Reaktorarbeiter jung, es wundert mich wirklich, dass er noch lebt. Einer meiner Freunde hat dort gearbeitet und wollte in den Ruhestand gehen. Er hat einen Nudelladen aufgemacht und ist kurz darauf gestorben.«
    »Wie alt war er?«
    »Etwas über vierzig.«
    »War es Krebs?«
    »Die Einzelheiten kenne ich nicht.«
    Diese Anekdote sagte mehr über den Fahrer aus als über den Reaktor oder die Atomkraft. Ein Mensch ist jedenfalls für eine Stichprobe nicht sehr viel. Wir fuhren wieder durch Reisfelder, meine Stirn war heiß und juckte; ein Insektenstich vielleicht. Wir kamen an zwei Hunden vorbei, die ohne Leine vor dem Rathaus von Kawauchi herumliefen, und erreichten den inneren Kreis, wo eine Reihe Polizisten mit ihren blauen Westen mit den gelben Leuchtstreifen stand. Die weißen Masken bedeckten ihr Gesicht vom Kinn bis an den Nasenrücken, und die weißen, in die Augen gezogenen Helme saßen ihnen fest und gerade auf dem Kopf. Ihre weiß behandschuhten Hände hingen locker herunter, die Stiefel glänzten. Sie verboten uns die Weiterfahrt, also ließ ich den Taxifahrer umkehren und einen Block weiter parken, in einer Straße, in der die Einheimischen ganz nach Belieben durch einen unbemannten Kontrollpunkt fuhren und sich selbst die wenig beeindruckende Schranke anhoben. All diese Menschen hatten es eilig. Wann immer die Dolmetscherin und ich sie zum Halt winkten, sagten sie, ganz entgegen der berühmten Höflichkeit der Region Tohoku: »Keine Zeit!« Ihr Ziel war ausnahmslos die Große Palette.
    Ich schlenderte in die verbotene Zone, nur um sagen zu können, dass ich dort gewesen war. Die Dolmetscherin kam mir ein, zwei Schritte weit nach und blieb dann stehen. Der Fahrer saß mit hochgekurbelten Fenstern im Wagen. Jedes Mal, wenn ich zu ihm hinüberblickte, ließ er ungeduldig den Motor an. Hätte ich darauf bestehen sollen, dass er weiter in die Zwangsräumungszone fuhr? Mein Dosimeter hatte keinen neuen Strahlungsanstieg registriert; was Gamma-Strahlung anging, schien das Risiko also nicht zu groß zu sein, und vielleicht wäre diese Story dramatischer ausgefallen, wenn ich aggressiver vorgegangen wäre, aber wer weiß –denn was hätten wir zu sehen bekommen außer mehr leeren Häusern und Erdbeben- und Tsunamischäden und dann den Reaktor, der auf den Drohnenaufnahmen in der Zeitung aussah wie jede x-beliebige matschige Baustelle? Ich glaube, der Fahrer wäre weitergefahren, wenn ich ihn darum gebeten hätte; was meine treue und mutige Dolmetscherin angeht, die sagte schlicht: »Ich werde Ihnen folgen.« Vielleicht hätten wir beide uns mit Atemmasken, gelben Küchenhandschuhen und dem ganzen Rest ausstaffieren und dann zum Kraftwerk Nr. 1 marschieren sollen. Ehrlich gesagt, mir fehlte die Rücksichtslosigkeit, das von ihr zu verlangen. Ich hätte natürlich auch alleine losziehen und die beiden dort auf mich warten lassen können. Warum habe ich es nicht getan? Vielleicht hatte ich Angst und wollte sie mir nicht eingestehen; aber ich glaube, ich sah einfach keinen Sinn darin.
    Die Vögel zwitscherten, die Pflanzen sprossen, und die Bäume schlugen aus. Es war jetzt sehr warm. Auf einer Mauer wuchsMoos, und in den verlassenen Häusern waren alle Vorhänge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher