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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Autoren: Eugen Richter
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gebricht, sondern weil dem einzelnen das Interesse fehlt, sich solche Bildung auch anzueignen als Bedingung für das spätere Fortkommen.
    Sie leben noch von den Bildungskapital und ebenso von dem wirtschaftlichen Kapital, welches Ihnen aus der früheren Ordnung überkommen ist. Sie vermögen aber jetzt nichts mehr zu erübrigen für neue wirtschaftliche Anlagen, Verbesserungen, Wege, Gebäude a. s. w. Im Gegenteil, Sie lassen das Vorhandene verfallen, Ihnen fehlen die Mittel dazu, weil Sie mit dem Unternehmergewinn auch den Zinsanspruch beseitigt haben, welcher früher die Privaten veranlasste, fortgesetzt neues Kapital zu bilden.
    Jeder wirtschaftliche und wissenschaftliche Fortschritt hat mit der Beseitigung der freien Konkurrenz aufgehört. Das Eigeninteresse forderte früher den Scharfsinn und die Erfindungsgabe jedes einzelnen heraus, aber der Wetteifer vieler Gleichstrebenden zwang die Frucht der eigenen Anstrengungen wieder der Allgemeinheit zu Gute kommen zu lassen.
    Alle Vorschläge des Herrn Reichskanzlers decken das vorhandene 12 Milliardendefizit so wenig, wie solche Organisation der Produktion und Konsumtion seinerzeit in den Zuchthäusern im Stande war, auch nur den dritten Teil der laufenden Kosten dieser Anstalten zu decken. Bald werden Sie wieder trotz des Programms des Reichkanzlers vor einem neuen und zwar noch größeren Defizit stehen. Darum freuen Sie sich nicht allzu sehr über alle Geburten als einen Zuwachs für die Sozialdemokratie. Im Gegenteil, denken Sie darüber nach, wie Sie eine Verminderung der Bevölkerung von oben herab regulieren. Selbst in der kümmerlichen Weise, wie es der Herr Reichskanzler jetzt in Aussicht zu nehmen gezwungen ist, vermag Deutschland aus der Grundlage Ihrer Gesellschaftsordnung in eine dünne und spärliche Bevölkerung dauernd zu erhalten. Für die sozialdemokratischen Nachbarstaaten gilt dasselbe. Das eherne Gesetz der Selbsterhaltung wird die Sozialdemokratie daher hüben und drüben nötigen, sich gegenseitig totzuschlagen, bis derjenige Überschuss von Menschen vertilgt ist, der nur bei einem Kulturleben, wie Sie es mit der früheren Gesellschaftsordnung zerstört haben, in Europa lebensfähig ist.
    Bis jetzt ist meines Wissens die Hoffnung Bebels, die Wüste Sahara durch Bewässerung in üppige Ländereien umzuwandeln und den Überschuss der europäischen Sozialdemokratie dorthin abzugeben, noch in keiner Weise ihrer Erfüllung näher gerückt. Ebenso wenig dürfte die Neigung unter Ihren für Deutschland überflüssigen Genossen sehr verbreitet sein, im Norden von Norwegen und Sibirien sich anzusiedeln, wie dies seiner Zeit Herr Bebel die Güte hatte, für die sozialdemokratische Übervölkerung in Aussicht zu nehmen. (Heiterkeit links. )
    Ob aus dem jetzt beschritten Wege zum Untergang unseres Volkes noch ein Aufenthalt möglich ist, ich weiß es nicht. Viele Milliarden an Werten hat die Umwälzung schon zerstört, Milliarden müssten weiter geopfert werden, um die jetzt vorhandene Desorganisation der Volkswirtschaft wieder zu beseitigen.
    Während wir im alten Europa derart Dank Ihren Bestrebungen dem Untergang entgegentreiben, erhebt sich jenseits des Meeres immer wohlhabender und mächtiger ein Gemeinwesen, das auf dem Privateigentum und der freien Konkurrenz beruht und dessen Bürger sich niemals ernsthaft von den Irrlehren der Sozialdemokratie haben bestricken lassen.
    Jeder Tag der Verzögerung in der Befreiung unseres Vaterlandes von dieser unseligen Verirrung der Geister führt uns dem Abgrunde näher. Darum nieder mit dem sozialdemokratischen Zuchthausstaat, es lebe die Freiheit! (Stürmischer Beifall auf der linken Seite und auf den Tribünen, lebhaftes Zischen und große Unruhe auf der rechten Seite. )
    Der Präsident ruft den Redner wegen der Äußerungen am Schluss seiner Rede zur Ordnung und befiehlt, in Anbetracht der wiederholten Kundgebungen, die Räumung der Tribünen.
    Zu Folge Räumung der Tribünen, welche mit nicht geringen Schwierigkeiten erfolgte, musste auch ich vom Platze weichen und kann deshalb über den weiteren Verlauf der Sitzung nicht berichten. Indessen verfügt die Regierung bei unseren Zuständen bekanntlich über eine ihr sklavisch ergebene Reichstagsmehrheit, sodass die Annahme der vom Reichskanzler angekündigten Vorlagen von vornherein keinem Zweifel unterliegt. Auch die Erregung der Gattin des Reichskanzlers über die von ihrem Gemahl angekündigte neue Kleiderordnung vermag daran nichts zu ändern.

30. Streik
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