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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Autoren: Eugen Richter
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Sozialdemokratie. Die Schiffe nach Amerika vermögen nicht alle Auswanderer aufzunehmen. In Amerika freilich ist die Revolution niedergeschlagen worden und auf lange Zeit hinaus keine Aussicht auf Wiedererhebung der Sozialdemokratie. Mögen die Ausbeuter immerhin von dannen ziehen! Von ihrem Eigentum haben sie glücklicherweise nicht viel mitnehmen können. Dank der Plötzlichkeit, mit welcher der Umschwung erfolgt ist. Alle Staatspapiere, Pfandbriefe, Aktien. Schuld- Obligationen und Banknoten sind für null und nichtig erklärt worden. Die Herren Bourgeois können sich damit ihre Schiffskabinen tapezieren lassen. Auf alle Immobilien, Verkehrsmittel, Maschinen, Werkzeuge und Geräte wurde für den sozialistischen Staat Beschlag gelegt.
    Unser bisheriges leitendes Parteiorgan, der „Vorwärts“, ist an die Stelle des „Reichsanzeigers“ getreten. Das Blatt wird in jeder Wohnung unentgeltlich zugestellt. Da alle Druckereien Staatseigentum geworden sind, so haben die übrigen Zeitungen zu erscheinen aufgehört. Außerhalb Berlins erscheint der „Vorwärts“ durch eine Lokalbeilage für den betreffenden Ort vervollständigt. Bis zum Zusammentritt eines neu zu wählenden Reichstags haben die bisherigen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten als gesetzgebender Ausschuss die Gesetze zu beschließen, welche zur Durchführung der neuen Ordnung in großer Anzahl notwendig sind.
    Das bisherige Parteiprogramm, wie es 1891 von dem Erfurter Parteitage beschlossen wurde, ist als provisorisches Grundrecht des Volkes proklamier worden. Damit ist die Umwandlung aller Arbeitsmittel, von Grund und Boden, der Bergwerke, Gruben, Maschinen und Werkzeuge, Verkehrsmittel in Eigentum des Staates oder, wie man es jetzt nennt, der Gesellschaft gesetzlich proklamiert. Ein weiteres Gesetz dekretiere allgemeine Arbeitspflicht mit gleichem Recht für alle Personen, männlich oder weiblich vom vollendeten 21. bis 65. Lebensjahre. Jüngere Personen werden auf Staatskosten erzogen, ältere auf Staatskosten verpflegt. Die Privatproduktion hat aufgehört. Indes soll bis zur Regulierung der neuen Sozialistischen Produktion Jeder an der bisherigen Stelle auf Staatsrechnung fortarbeiten. Über dasjenige, was dem Einzelnen nach obiger Beschlagnahme für den Staat noch als Privateigentum bis auf weiteres verblieben ist, Hausgerät, gebrauchte Kleider. Münzen Reichskassenscheine ist von jedermann ein Inventar einzureichen. Goldmünzen sind abzuliefern. Neue Goldzertifikate sollen demnächst ausgegeben werden.
    Die neue Regierung verfährt Dank dem schneidigen Reichskanzler an ihrer Spitze ebenso energisch, wie zielbewusst. Alles soll von vornherein unmöglich gemacht werden, wodurch die Kapitalsherrschaft sich wieder Eingang verschaffen könnte. Das Militär ist entlassen, Steuern werden nicht mehr erhoben, da die Regierung dasjenige, was sie für allgemeine Zwecke bedarf, aus dem Ertrag der sozialistischen Produktion vorwegnimmt. Ärzte und Rechtsanwälte werden vom Staat unterhalten und haben ihre Dienste dem Publikum unentgeltlich zu widmen. Die drei Tage der Revolution und der Siegesfeier sind für gesetzliche Feiertage erklärt worden. — Wir gehen einer neuen herrlichen Zeit entgegen.

3. Unzufriedene Leute
    Agnes, unsere Schwiegertochter, ist untröstlich, und auch Franz überaus niedergeschlagen. Agnes fürchtet, um ihre Aussteuer zu kommen. Seit langer Zeit hat Agnes durch Arbeit für Putzgeschäfte für ihre Aussteuer zu sparen gesucht. Insbesondere seit ihrer Bekanntschaft mit Franz ist sie in stiller Hoffnungsfreudigkeit von morgens bis abends unausgesetzt tätig gewesen. Kaum zur Essenszeit gönnte sie sich Ruhe. Was ihre Freundinnen für eigenen Putz, für Ausflüge und Vergnügungen verausgabten, ersparte sie zur Vermehrung ihres Kapitälchens. So hatte sie denn bei ihrer Verlobung schon Sparkassenbücher über 2000 Mk. im Besitz. Mein Franz erzählte alles dies am Abend des Verlobungstages mit Stolz und Genugtuung. Die jungen Leute begannen schon zu überlegen, was sie aus dem Guthaben zuerst anschaffen, wollten.
    Nun soll alle Mühe und aller Fleiß vergeblich gewesen sein. Als Agnes, durch allerlei Gerüchte beunruhigt, ihre Einlage auf dem Sparkassenburreau in der Klosterstraße kündigen wollte, fand sie auf der Straße erregte Gruppen. Alte Männer, Frauen, frühere Dienstmädchen jammerten, dass sie um ihre Notgroschen gekommen seien. Der Beamte habe erklärt, dass durch das neue Gesetz mit anderen Wertpapieren und
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