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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Autoren: Eugen Richter
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Wir wagen es nicht, dem alten Manne zu sagen, dass dasselbe wertlos geworden ist. Er ist kein Geizhals. Aber noch dieser Tage erzählte er, dass er Zins und Zinseszins auslaufen lasse. Wir sollten bei seinem Tode seine Dankbarkeit erfahren für die Pflege, welche wir ihm bei uns haben angedeihen lassen. Man muss in der Tat so fest wie ich in den sozialdemokratischen Anschauungen geworden sein, um solche Verluste heiteren Mutes verschmerzen zu können.

6. Arbe itsanweisung
    Die Heirat zwischen Franz und Agnes ist plötzlich in weite Ferne gerückt. Heute verteilte die Schutzmannschaft die Gestellungsordres zur Arbeit auf Grund der stattgehabten Berufswahl und des von der Regierung für die Produktion und Konsumtion im Lande aufgestellten Organisationsplans.
    Franz ist allerdings als Setzer beordert, aber nicht in Berlin, sondern in Leipzig, Berlin bedarf jetzt nicht mehr den zwanzigsten Teil an Zeitungssetzern wie früher. Beim „Vorwärts“ werden nur ganz zuverlässige Sozialdemokraten eingestellt. Franz aber ist wegen Äußerungen auf dem Schlossplatz über die leidige Sparkassenangelegenheit irgendwo in Misskredit gebracht worden. Die Politik, so argwöhnte Franz, hat wohl auch sonst bei der Arbeitszuteilung mitgespielt. Die Partei der „Jungen“ in Berlin ist vollständig auseinandergesprengt worden. Ein Genosse muss als Tapezierer nach Inowrocław, weil dort an Tapezierern Mangel sein soll und hier ein Überfluss besteht. Franz meinte unwillig, das alte Sozialistengesetz mit seinen Ausweisungen sei dergestalt in neuer Form wieder lebendig geworden. Man muss eben dem Bräutigam, der plötzlich auf unabsehbare Zeit von der Braut getrennt wird, manches zu Gute halten.
    Ich suchte Franz damit zu trösten, dass im Nachbarhause sogar ein Ehepaar getrennt worden sei. Die Frau kommt als Krankenpflegerin nach Oppeln, der Mann als Buchhalter nach Magdeburg. Wie darf man denn Eheleute trennen, das ist ja die reine Niedertracht, so rief Paula. Meine gute Alte vergaß, dass die Ehe in unserer neuen Gesellschaft ein reines Privatverhältnis ist, wie doch schon Bebel in seinem Buch von der Frau dargetan hat. Die Ehe kann jederzeit ohne Dazwischentreten irgendeines Beamten geschlossen und wiederum gelöst werden. Die Regierung ist also gar nicht in der Lage, zu wissen, wer alles noch verheiratet ist. In dem Namensregister wird daher ganz folgerichtig Jedermann nur mit seinem Geburtsnamen und zwar mit dem Familiennamen seiner Mutter aufgeführt. Das Zusammenwohnen der Eheleute kann sich bei einer planmäßigen Organisation der Produktion und Konsumtion nur nach den Arbeitsplätzen richten, nicht umgekehrt, denn die Organisation der Arbeit kann doch nicht auf jederzeit kündbare Privatverhältnisse Rücksicht nehmen.
    Indes auch im früheren Beamtenstaate, so meinte meine Frau, hat man doch oft aus persönlichen Gründen unliebsame Versetzungen höheren Orts wieder rückgängig gemacht. — Das ist richtig, und so begab ich mich denn nach dem Rathaus. Ich erinnerte mich, dass ein alter Freund und Genosse, mit dem ich zusammen unter dem Sozialistengesetz in Plötzensee bekannt wurde, in der Gewerbe-Deputation des Magistrats jetzt eine einflussreiche Stellung innehatte. Ich fand aber das Bureau im Rathause von Hunderten von Personen belagert, die mit ähnlichen Wünschen gekommen sein mochten. Auf dem Gange traf ich indes einen anderen Genossen, der in derselben Gewerbe-Deputation arbeitet und dem ich alles erzählte, was ich auf dem Herzen hatte. Er riet mir, später einmal, wenn über Franzens Beteiligung am Sparkassenkrawall Gras gewachsen, wegen seiner Rückversetzung nach Berlin vorstellig zu werden.
    Ich klagte ihm dabei, dass ich selbst zwar als Buchbinder angenommen, aber nicht in meiner früheren Stellung als Meister, sondern als Gehilfe. — Das ginge nicht anders, meinte er. In Folge der Erweiterung des Großbetriebes in den Gewerben sei der Bedarf an Meistern ein sehr viel geringerer als früher. Er erzählte mir aber, dass in Folge eines Rechenfehlers eine Nachtragsorderung von 500 Kontrolleuren kommen werde; er riet mir, um eine solche Stelle einzukommen. Dem Rat werde ich folgen.
    Meine Frau ist als Krankenpflegerin angenommen, aber nicht dort, wo unser Jüngstes verpflegt werden soll. Man sagt, dass grundsätzlich zur Vermeidung von Bevorzugungen der eigenen Kinder und zur Fernhaltung der Eifersucht der anderen Mütter Frauen als Krankenpflegerinnen nur dort eingestellt werden, wo sich die eigenen Kinder nicht
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