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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Autoren: Eugen Richter
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sich als Kinderpflegerin gemeldet. Sie will als solche ihrer vierjährigen Jüngsten, Annie, welche wir an die Kinderpflegeanstalt werden abliefern müssen, auch fernerhin ihre mütterliche Sorgfalt angedeihen lassen.
    Nach dem Straßenkrawall vor dem Schloss hat das Ministerium beschlossen, eine Schutzmannschaft in einer Stärke von 4. 000 Köpfen wieder einzurichten und dieselbe teilweise im Zeughause und der anschließenden Kaserne zu stationieren. Um frühere unliebsame Erinnerungen zu vermeiden, werden die neuen Schutzmänner keine blauen, sondern braune Uniformen und statt des Helms einen Schlapphut mit einer roten Feder tragen.

5. Eine Reichstagssitzung
    Mit großer Mühe erlangten Franz und ich heute Einlass zur Tribüne im Reichstagsgebäude am Bebelplatz, früher Königsplatz. Es sollte die Entscheidung über die Sparkassengelder getroffen werden. In Berlin gibt es, wie Franz wissen will, jetzt bei 2 Millionen Einwohnern nicht weniger als 500. 000 Sparkassengläubiger. Kein Wunder, dass die ganze Umgebung des Reichstags, der Bebelplatz, die Sommerstraße, von einer großen Menge von Personen, zumeist in ärmlicher Kleidung, bedeckt war, welche dem Ergebnis der Reichstagsverhandlungen mit Spannung entgegensah. Doch war schon bei unserer Ankunft die Schutzmannschaft mit der Räumung der Straßen beschäftigt.
    Da allgemeine Wahlen für den Reichstag noch nicht stattfinden können und die Mandate aller Mitglieder der Bourgeoisparteien für erloschen erklärt worden sind, so sahen wir nur unsere alten Genossen und erprobten Vorkämpfer unten im Sitzungssaale versammelt.
    Der Chef des statistischen Reichsamts leitete im Auftrage des Reichskanzlers die Verhandlungen ein durch einen statistischen Vortrag über die tatsächliche Bedeutung der vorliegenden Frage. Allein bei den öffentlichen Sparkassen Deutschlands waren 8 Millionen Guthaben vorhanden über Einlagen im Betrage von mehr als 5 Milliarden Mark. (Hört! Hört! links. ) Der jährliche Zinsbetrag überstieg 150 Millionen Mark. Die Einlagen in den Sparkassen waren angelegt mit ungefähr 2. 800 Millionen Mk. in Hypotheken, mit 1. 700 Millionen Mk. in Inhaberpapieren, mit 400 Millionen Mk. bei öffentlichen Instituten und Korporationen und mit 100 Millionen Mk. gegen Faustpfand. Die Inhaberpapiere sind überall durch Gesetz annulliert worden. (Sehr gut! links) Die Hypothekenschulden sind mit dem Übergang alles Grundbesitzes auf den Staat erloschen. Ebenso sind die auf Faustpfand ausgeliehenen Gelder mit der unentgeltlichen (Rückgabe der Pfänder in den öffentlichen Leihanstalten auch zum Nutzen des Volkes verwendet worden. (Beifall links. ) Mittel zur Auszahlung der Spartasseneinlagen sind somit in keiner Weise vorhanden. Eine Vergütung an die Einleger kann erfolgen in Form der Ausgabe von Bons, welche zu einer Entnahme aus den Warenvorräten des Staates berechtigen.
    Nach diesem Vortrag ergriff ein Redner von der rechten Seite das Wort. Millionen braver Arbeiter und guter Sozialdemokraten (Unruhe links) werden sich bitter enttäuscht fühlen, wenn sie jetzt, wo dem Arbeiter der „volle Ertrag seiner Arbeit“ zu Teil werden soll, sich um die Früchte harter Arbeit durch Vorenthaltung ihrer Sparkassengelder gebracht sehen. Was hat die Ersparnisse ermöglicht? Angestrengter Fleiß. Sparsamkeit, Enthaltung von manchem Genuss, z. B. in Tabak und Spirituosen, den sich andere Arbeiter erlaubten. (Unruhe links) Mancher hat geglaubt, sich durch die Hinterlegung in der Sparkasse einen Notgroschen für außerordentliche Unglücksfälle, eine Erleichterung für sein Alter verschaffen zu können. Die Gleichstellung mit denjenigen, welche nichts vor sich gebracht, wird als Unrecht von Millionen empfunden (Beifall rechts und stürmische Zurufe von den Tribünen).
    Der Präsident droht die Tribünen räumen zu lassen. (Zurufe: Wir sind das Volk! )
    Präsident: Dem Volk ist ein durch allgemeine Abstimmung geordnetes Verwerfungsrecht zu Gesetzen gegeben, aber kein Recht zur Teilnahme an der Diskussion im Reichstag. (Lebhafter allgemeiner Beifall). Die Ruhestörer werden hinausgeführt.
    Ein Redner von der linken Seite des Reichstags erhält das Wort. Ein richtiger Sozialdemokrat ist niemals auf Spargroschen bedacht gewesen. (Widerspruch rechts. ) Wer den Sparaposteln der Bourgeois gefolgt ist, hat auf keine Rücksichtnahme im sozialen Staat in rechnen. Auch manches Sparkassengeld ist durch Beraubung des arbeitenden Volkes entstanden. (Widerspruch rechts. ) Man soll
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