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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen
Autoren: A Beer
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Prolog: Jenseits
    Dick und undurchsichtig türmten sich die Nebelschwaden am rotvioletten Himmel. Sie waren so dicht, dass nicht einmal das Licht der weißen Sonne hindurchdrang. Von einem Schritt zum nächsten war die Straße abgeschnitten, als ob sie nur einen Meter weiter einfach aufhörte, doch das tat sie nicht. Das wahre Ende musste dort in den grauen Schlieren verborgen sein. Irgendwo.
    Vorsichtig schob Lea einen Fuß nach vorn, bis er vom Nebel verschluckt wurde. Kälte sickerte in ihren Schuh. Lea fröstelte und zog den Fuß wieder zurück. Zögernd hob sie die Laterne ein wenig höher. Das ölige Licht, das zuvor im Schein der Sonne verblasst war, drängte nun die dicken Schwaden zur Seite– allerdings nicht weit genug, als dass Lea weiter als eine Armlänge hätte sehen können. Nebelfetzen verfingen sich in ihren Haaren, und am liebsten wäre sie zurückgewichen. Sie wollte nicht berührt werden von diesem leichenblassen, feuchten Dunst, wollte ihn nicht einatmen und spüren, wie er ihr von innen das Leben aussaugte. Seit mehr als einem Jahr stand sie nun jeden Tag vor dieser Nebelwand, die ihre ganze Welt umschloss. Anfangs hatte sie noch geglaubt, mit der Zeit würde es ihr leichter fallen, die Schwelle zu überschreiten. Doch stattdessen wurde es mit jedem Mal schwerer, ihren Widerwillen zu bekämpfen und den Nebel zu betreten. Denn dort drin konnte es kein Leben geben. Das bleiche Grau umhüllte alles, was lebte, und verwandelte es in feuchte Kälte. Hielt man sich zu lange darin auf, fraß es das Gesicht, den Namen und die Persönlichkeit eines Menschen und zehrte ihn langsam aus, bis er nicht mehr war als ein geisterhafter Schatten seines ursprünglichen Wesens– und schließlich selbst zu Nebel wurde.
    Eine kleine Ewigkeit, wie ihr schien, stand Lea nur da und lauschte, wartete auf ein Zeichen, irgendeins nur, das ihr sagte, dass sie diesmal vielleicht doch etwas finden würde… oder jemanden. Doch jenseits der trüben Schwaden war nichts zu hören. Nicht einmal ein leises Atmen.
    Schließlich gab sie es auf und wandte sich zu ihrem Begleiter um. Der Maskierte sah aus seinen leeren Augenhöhlen auf sie herunter. Doch Lea spürte das Mitgefühl in seinem Blick.
    » Das hat keinen Sinn, oder?« In der drückenden Stille klang es, als hätte jemand ihre Stimme in einen Blechkasten gesperrt. Lea schluckte. Ihr Hals war trocken. Sehnsüchtig sah sie zum Turm zurück, der sich in der Ferne über den schwarzen Häusern der Obsidianstadt erhob. Die bleiche Sonne brannte auf ihrer Haut. Sie konnte nicht ewig hier stehen bleiben.
    Wir sollten endlich aufgeben, dachte sie mutlos. Dem Nebel den Rücken zukehren, nach Hause gehen und einfach auf das Ende warten. Bis er auch uns verschluckt…
    Aber wie lange, fragte eine boshafte Stimme in ihrem Kopf, wirst du auf dich allein gestellt sein, bevor es wirklich vorbei ist? Und was wirst du tun, wenn auch der Maskierte dir nicht mehr helfen kann? Bei dem Gedanken verengte sich ihre Kehle schmerzhaft. Natürlich. Sie würden nicht gemeinsam im Nebel vergehen. Der Nebel würde sie einzeln nehmen. Einen nach dem anderen. Bis keiner mehr übrig war.
    Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und sie sah auf. Der Maskierte nickte ihr zu und deutete wortlos auf das dichte Grau vor ihnen. Noch war er hier, sagte seine Geste. Lea verstand es auch ohne Worte. Er würde bei ihr sein, so lange er konnte. Freiwillig würde er sie niemals allein lassen. Und noch war es nicht zu spät, vielleicht doch einen Ausweg zu finden. In diesem Moment hätte Lea nichts lieber getan, als die Arme um ihn zu schlingen, ihn an sich zu drücken und hilflos zu weinen. Aber das wollte sie nicht. Für sie war er stark. Darum musste sie auch für ihn stark sein. Entschlossen presste sie die Lippen zusammen, zog sich die Kapuze ihres Mantels über den Kopf und legte ihre Hand auf die des Maskierten. Durch die Handschuhe konnte sie seine Finger spüren, die jeden Tag kälter wurden.
    » Du hast ja recht«, flüsterte sie. » Wir haben keine andere Wahl.« Wir müssen den Weg finden, oder ich verliere dich auch noch…
    Den letzten Gedanken ließ Lea unausgesprochen, aus Furcht, dass er zur Wahrheit würde, sobald sie ihn in Worte fasste. Sie konnte und würde nicht zulassen, dass auch er verschwand und zu Nebel wurde, wie so viele vor ihm. Wie Leas Familie und ihre Freunde, ihre Gesichter, ihre Namen.
    Sie alle hatten sich mit der Zeit in den grauen Schwaden aufgelöst, bis schließlich kaum mehr
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