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Soul Kitchen

Soul Kitchen

Titel: Soul Kitchen
Autoren: Jasmin Ramadan
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Bruders hinwegtrösten.
    Nach wie vor gewährte dieser keine Einblicke in sein Treiben außer Haus. Eines Nachmittags, als Zinos wie immer gewissenhaft am Schreibtisch saß und seine Hausaufgaben erledigte, hörte er seinen Bruder schon im Flur zu jemandem sagen:
    »Hier rein, Süße, meine Mutter lernst du wann anders kennen. Die hat die Hände voll Hack, und du hast nicht das Richtige an.«
    Zinos drehte sich nicht um; erst als es auf dem Linoleum ein paar Mal klack, klack! machte, wandte er seinen Kopf und entdeckte etwas Großes, Schönes, Grelles, das stark duftete – Daniela.
    Sie war wie ein Mädchen aus einer Bravo -Foto-Lovestory – in Farbe! Ihre Haare: blond, toupiert, voller Bändchen und Perlen, verdeckten ihre ganze linke Gesichtshälfte. Mit ihrem rechten Auge schaute sie kühl herab; es war metallic blau geschminkt. Ihre Lippen glänzten. Sie trug ein kurzes Kleid, das nur aus Tüll bestand. Lackpumps machten dieses angenehme Klack-klack- Geräusch.
    Zinos sprach kein Wort mit ihr Trotzdem wurde sie seine erste große Liebe.
    Einmal ließ sie ihren Walkman auf Illias’ Bett liegen. Zinos roch an dem Schaumstoff der Kopfhörer, setzte sie auf und drückte auf Play. Es erklang I want to be your man von Roger. Es wurde sofort sein Lieblingslied, und er fing beinahe an zu weinen.
    Wie ein Süchtiger atmete er den Duft von Danielas Parfüm ein, während sie klack, klack! machte. Ihre Besuche bescherten Zinos endlich das, was alle anderen Jungs in seiner Vorstellung schon lange gehabt hatten: den Traum, aus dem man aufwacht, weil einem etwas passiert war. Er war zu der Zeit fast vierzehn und hatte schon befürchtet, nicht richtig zu funktionieren
    Als er sich in dieser Angelegenheit einmal bei Illias erkundigt hatte, behauptete dieser, schon mit neun eine ganze Colaflasche vollgewichst zu haben, an nur einem Tag. Zinos hatte seitdem, mit einer Colaflasche in Reichweite, einige Male versucht, etwas herauszubekommen. Doch das Ergebnis war nichts weiter als ein wunder Pimmel – und ein Gefühl der Erniedrigung.
    Mit Daniela aber ging dann alles ganz schnell. Zum ersten Mal verlor er das Interesse an Schulnoten. Und er wusste plötzlich: Ein Mann zu werden bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als seinem Körper und seinem Herzen ausgeliefert zu sein.
    Er fragte sich, wann Illias wohl in der Pubertät gewesen sein mochte. Wahrscheinlich hatte er auch sie einfach nur besiegt. Außerdem war Illias ein Lügner. Niemals würde jemand alleine eine ganze Flasche mit Sperma füllen können. Er verkniff sich, seinen Bruder darauf hinzuweisen. Aber er fragte ihn seitdem nicht mehr um Rat.
    Illias predigte trotzdem immerzu: »Wer keine Angst hat, kann nicht mutig sein!«
    Und er sagte auch: »Wenn dir jemand schwul kommt, Zini, sag mir Bescheid, den brech’ ich ab!«
    Eine Zeit lang erfuhr Zinos, wenn auch keinen Wachstums-, so doch einen Popularitätsschub, da es sich in der Schule herumgesprochen hatte, dass Illias sein Bruder war. Sogar von Thomas Neumanns Clique wurde er zum Skateboarden mitgenommen. Zinos hatte kein eigenes Board und konnte seine Eltern nicht davon überzeugen, ihm eins zu kaufen. Er hatte keine Ahnung, wie Illias davon Wind bekommen hatte. Eines Morgens aber wachte er mit einem Skateboard im Arm auf.
    Zinos übte fleißig und wurde beinahe fester Bestandteil der Clique um Thomas Neumann, der in einer großen Altbauwohnung in der Wohlers-Allee lebte. Einmal, nach der Schule, hingen sie dort mit ein paar Jungs rum. Da stellte Thomas plötzlich eine Vase in die Mitte des Zimmers und ordnete an, dass um die Wette gewichst werden solle.
    Wer verlor, musste Gras kaufen gehen.
    In den nächsten Tagen wurde Zinos in der Schule ignoriert, und ein unbeliebtes Mädchen steckte ihm, dass Thomas rumerzählte, Zinos habe einen Schwanz, so klein wie ein Radiergummi und habe deshalb nicht vor den anderen wichsen wollen.
    Zinos erzählte Illias davon. Der sprang auf und brüllte: »Ich hab dir doch gesagt – wenn dir jemand schwul kommt, sollst du Bescheid sagen! Dein Ding geht niemanden was an, klar? Und selbst wenn du gar keins hättest oder zwei Säcke – das muss keiner wissen!«
    »Aber ich habe einen Schwanz, der ist okay, ehrlich«, murmelte Zinos, ohne zu wissen, ob das stimmte.
    Später fiel ihm auf, dass er seinen Bruder zum letzten Mal als kleines Kind nackt gesehen hatte. Warum hatte Illias seinen Schwanz seitdem versteckt? Es passte nicht zu ihm. Plötzlich war alles klar: Sein Bruder musste
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