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Soul Kitchen

Soul Kitchen

Titel: Soul Kitchen
Autoren: Jasmin Ramadan
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schließlich auch seinen geliebten Ghettoblaster – dessen zweites Kassettendeck nicht mehr zuging – viel zu billig an ein paar Dreizehnjährige am Jungfernstieg verkauft hatte, nur um sich Burger und Pommes leisten zu können, entschied er, dass er nicht zum Händler geboren war. Doch ihm fehlte die Inspiration für Neues.
    Er schlich sich am Gänsemarkt durch den Notausgang ins Ufa-Kino. Die Nachmittagsvorstellung war gerade zu Ende, und ein paar Senioren, die sich in den fensterlosen Gängen verirrt hatten, kamen wie so oft durch die Notausgänge an der Rückseite des Gebäudes heraus. Zinos hielt ihnen höflich die Tür auf, um dann selbst hineinzuschlüpfen. Er kannte die verwinkelten, mit wild gemusterten Tapeten verkleideten Gänge des Kinos gut. Immer, wenn er hier mit Illias gewesen war, hatten sie sich von einem Kinderfilm in einen ab sechzehn oder achtzehn geschlichen und jeden Winkel des Gebäudes erkundet.
    Heute Nachmittag war es Zinos ziemlich egal, wo er landen würde. Er betrat den ersten Saal, dessen Tür offen stand. War man erst einmal drin, wurde man nicht mehr kontrolliert. Ganze drei Besucher saßen versetzt hintereinander.
    Es wurde dunkel. Der Vorhang mit psychedelischem Muster öffnete sich; dann kam die erste Werbung: Ein verschwitzter dunkelhaariger Typ in der Wüste nähert sich einer überdimensionalen Plakatwand, auf der eine riesige Colaflasche zu sehen ist. Er greift nach der Flasche, trinkt sie aus und fühlt sich danach cool und stark.
    Zinos stand auf und lief in den nächsten Saal – um die gleiche Werbung noch mal zu sehen. Insgesamt schaffte er es an diesem Nachmittag, viermal den Typen in der Wüste zu sehen, der bloß einen Schritt zurücktritt und damit seine Perspektive ändert, um zugreifen zu können. Diese Werbung sendete Zinos eine konkrete Botschaft über das Leben, so wie es sonst nur Illias vermochte.
    Wie damals, als Illias ihn über die Liebe aufklärte: »Viele kleine Lieben machen dich immun gegen die eine große Liebe, Zini. Im Leben geht es immer um Geld oder Leben, und eine Frau will beides von dir. Also darf die Muschi nie die Macht über dich bekommen.«
    Die Colawerbung konnte nur bedeuten, dass Zinos Abstand zu seinem Schmerz bekommen musste, um zuzugreifen, das Leben packen und genießen zu können.
    Als Erstes musste er sich also einen Job nehmen, damit er endlich mal durch die Vordertür hereinkommen konnte – nicht nur im Kino. Er musste Geld verdienen. Es war an der Zeit, sich selbst zu verkaufen, das machten doch fast alle Menschen; so schlimm konnte es also nicht sein. Seine Arbeitskraft würde er nicht vermissen – jedenfalls nicht so, wie seine Räuber Hotzenplotz -Platte. Es war seine Lieblingsplatte gewesen, und sie hatte auch das meiste Geld gebracht. Er war danach so traurig, dass er sich einen Tag später Räuber Hotzenplotz als Kassette kaufte, anstatt etwas zu essen. Und jetzt hatte er nicht mal mehr einen Kassettenrekorder. So konnte es unmöglich weitergehen.
    Zinos Kazantsakis verließ das Kino durch die Vordertür. Er machte die Augen zu und beschloss, in die Richtung zu gehen, aus der er das nächste Auto kommen hören würde. Am ersten Ort, der in dieser Richtung auf seiner Straßenseite lag und an dem man Geld verdienen konnte, würde er nach Arbeit fragen.
    Ein wenig unentschlossen stand Zinos kurz darauf vor einem winzigen Laden, über dessen Schaufenster stand: EI, EI – OVALES RUND UMS EI. In der Mitte des Schaufensters waren Eierbecher zu einer Pyramide aufgetürmt, daneben lag ein ovales Kochbuch. Alle möglichen mit Eimotiven verzierten Dinge standen auf einem Podest. Zinos spazierte weiter, vorbei an einer langen Häuserfront ohne Eingang. Nicht weit entfernt lag der Bahnhof, und Zinos befürchtete bereits, in der McDonald’s-Fillale zu enden. Kurzfristig gestattete er sich drei weitere Verweigerungen – da stieg ihm der Geruch von etwas Schmackhaftem in die Nase. Zinos merkte, wie hungrig er war. Es roch hier auf der Straße so herrlich nach gebratenem Fleisch, dass Zinos sich ein riesiges Stück frisches Weißbrot vorstellte, das er in eine Pfanne in öligen Bratensatz drücken würde. Er wollte essen, bis er nicht mehr sprechen – und nicht mehr denken konnte.
    Über dem Eingang des Restaurants prangte ein Schild mit geschwungener Leuchtschrift: PAVESES PIZZA PALAST. Genau in dem Moment, als Zinos’ Blick darauf fiel, fing es zu blinken an. Er trat ans Fenster, ein kurviges Mädchen versah die vielen kleinen
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