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Soul Kitchen

Soul Kitchen

Titel: Soul Kitchen
Autoren: Jasmin Ramadan
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mindestens zwei Säcke haben. Denn er war der größte Bruder, den man haben konnte.
    Irgendjemand schlug Thomas Neumann zusammen und trat ihm so heftig in die Eier, dass er ins Krankenhaus musste.
    Zinos wurde allmählich respektiert, hatte aber noch immer keine richtigen Freunde. Das Skateboardfahren ersetzte er durch Essen. Besonders groß wurde sein  Appetit, als Illias eines Tages plötzlich verhaftet wurde. Polizisten kamen in ihr Zimmer und beschlagnahmten sämtliche Kartons.
    Zinos hatte nie darüber nachgedacht, dass das, was sein Bruder trieb, so verboten sein könnte, dass man dafür ins Gefängnis kommen konnte. Man konnte. Die Sachlage war eindeutig und die Verhandlung schnell beendet.
    Nun hatte Zinos ein eigenes Zimmer. Seit es ein begehbares Schließfach gewesen war, hatte ihre Mutter dort nicht mehr geputzt. Nun saugte sie exzessiv Staub, rückte alle Möbel beiseite, wischte stundenlang und putzte das Fenster, bis sie einen Krampf im Arm bekam. Dazu sang sie den ganzen Tag theatralische griechische Lieder. Sie wusch die Gardinen bei fünfundneunzig Grad, bügelte, zog die Betten ab, hängte die Matratzen aus dem Fenster und besprühte alles, was ihr in die Hände fiel, mit dem Raumspray Grüner Apfel .
    Von nun an schlief sie selber häufig in Illias’ Bett – weil der Vater seit der Verurteilung seines ältesten Sohnes im Schlaf vor sich hin schimpfte; manchmal brüllte er sogar.
    Da Zinos immerhin schon fast siebzehn war, wäre dies eigentlich der Zeitpunkt gewesen, um sich von seiner Mutter zu lösen. Stattdessen übernachteten sie nun beide, so wie früher in der ersten Wohnung der Familie, in einem Zimmer. Zu Zinos’ Erstaunen machte ihn das glücklich. Nach wenigen Wochen aber zog sie wieder zurück ins Ehebett, denn der Vater murmelte nur noch ab und zu – und hörte sofort damit auf, wenn die Mutter ihm die Wange streichelte.
    Zinos schätzte seine Mutter und ganz besonders ihre Küche, mit all den köstlichen Kohlehydraten und Fetten. Sie war eine Meisterin der Aufläufe. Gekonnt variierte sie Hack, Nudeln, Kartoffeln, Gemüse, Tomaten-, Käse- und Sahnesoße. Zinos wärmte sich bis zu dreimal täglich etwas auf und aß davon gerne nachts und vor der Schule auch kalt: aus der Tupperwaredose im Kühlschrank. Ihr griechisches Essen machte nicht einfach nur satt, es stellte ruhig.
    So dämmerte Zinos ein paar Monate vor sich hin – bis er oben auf dem Einbauschrank eine Tüte mit einem nagelneuen Atari-Computer entdeckte. Die Polizei musste sie übersehen haben, und seine Mutter hatte stoisch drum herum gewischt. Der Atari wurde Zinos bester Freund. Aus den Pickeln im Gesicht und auf dem Rücken war Akne geworden. Der vom Doktor versprochene Wachstumsschub kam tatsächlich, und mit ihm kam auch das Testosteron, und zwar im Überfluss.
    Er war zu einem wabbeligen Antityp geworden, der nicht Pickel, sondern Abszesse im Gesicht hatte, dessen lange Haare nachfetteten, kaum waren sie nach dem Waschen getrocknet, und dessen größte Freude es war, sich schon vor der Schule Bifteki, Pastitsio und Moussaka in den Mund zu stopfen und alles mit Erdbeer-Kaba hinunterzuspülen.
    Zinos rechnete nicht mehr damit, dass Mädchen je an ihm interessiert sein könnten. Und trotz des Wachstumsschubs war bei einseinundsiebzig Schluss. Zwei Mädchen in seiner Klasse waren noch immer größer als er.
    Ein wenig Hoffnung schöpfte er dank Prince, mit dem er neben einer geringen Körpergröße auch den Frauengeschmack teilte. Er träumte von all den Frauen, mit denen Prince sich umgab, und verlor sich stundenlang in dessen Fickballaden. Und die Frauen waren sinnlich und versaut, dabei aber romantisch und treu. Am liebsten machte Zinos es mit Apollonia zu den Klängen von International Lover , Adore , Pink Cashmere und Darling Nikki .
    Wenn er aus der feuchtheißen Geborgenheit Apollonias in sein Zimmer zurückkehrte, überfiel ihn manchmal Frustration – und Scham. Und obwohl er noch immer den größten Halt in der ordentlichen Schularbeit fand, merkte er, dass diese Art von Streben, dessen nächster Schritt das beste Abitur wäre, ihn längst nicht mehr glücklich machte.
    Er bat seinen Philosophielehrer, der auch der Vertrauenslehrer der Schule war, um Rat.
    Herr Brigge saß unter einer surrenden Hundert-Watt-Birne und riet Zinos, sich doch einmal etwas zu trauen. Zum Beispiel, um die Fantasie anzuregen, eine Aufgabe einmal nicht perfekt zu erfüllen! Man dürfe sich nicht immer fragen, was andere von einem
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