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»Sorry, wir haben uns verfahren«

»Sorry, wir haben uns verfahren«

Titel: »Sorry, wir haben uns verfahren«
Autoren: Stephan Antje; Orth Blinda
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im Internet gesurft werden, und immer mehr ICE werden mit WLAN-Technik ausgerüstet. Im Gegensatz zum Autofahrer hat der Bahnkunde für seine Spielzeuge sogar beide Hände frei, weil er kein Lenkrad halten muss.
    5) Refugium für Nostalgiker: In Deutschland können zwar nur noch manche Interregios, Nahverkehrszüge oder Relikte wie der Rasende Roland Wehmut über alte Zeiten auslösen. Doch was in Ländern wie Burma, Indien und Tansania tagtäglich über die Schienen rattert, stammt zum Teil aus Kolonial­ zeiten. Gepflegter, aber mit ähnlichem Ambiente genießt es sich i n Luxuszügen wie Rovos, Orient-Express oder Blue Train – die eher Reiseziel denn Beförderungsmittel sind. Dort wird noch edles Porzellan aufgetischt, die Wände sind aus Holz, und ein Bett ist ein Bett und keine Pritsche. Wer wollte da schon gern in einem bejahrten Flieger aus alten Zeiten sitzen.
    6) Pünktlich wie ein Bahner: Jawohl, die Bahn ist ganz schön pünktlich – auch wenn es sich oft nicht so anfühlt. Zumindest in Deutschland, Japan und der Schweiz. Die Deutsche Bahn zum Beispiel schaffte es nach eigenen Angaben im April 2012, die versprochene Ankunftszeit von Nah- wie Fernzügen zu 96,4 Prozent einzuhalten – eine Toleranz von 5:59 Minuten vorausgesetzt. Wer könnte wohl seine Fahrzeit im Auto von Hamburg nach München auf sechs Minuten genau voraus­sagen?
    7) Mittendrin statt Drüberweg: Zwischen Nord- und Süddeutschland wandelt sich die Tiefebene zum Voralpenland – nichts davon bekommt ein Flugreisender über den Wolken mit. Der Bahnfahrer dagegen sitzt vor einem ungleich größeren Fenster in der ersten Reihe. Auf einem Flug nach Thailand etwa ziehen Rumänien, Iran, Pakistan und Indien unter der Maschine hinweg. Im Zug könnte man sich auf einer solchen Strecke vor den Eindrücken hinter der Fensterscheibe nicht retten. So vielfältig wie ihre Kulturen sind auch die Mitfahrer im Waggon und so groß die Chance, sie kennenzulernen: Nirgendwo kommt man leichter ins Gespräch als in einem Bahnabteil.
    8) Das Öko-Argument: Wer den Zug nutzt, verursacht einen geringeren Kohlendioxid-Ausstoß als Autofahrer oder Flugzeugpassagiere. Nach den Zahlen des Umweltbundesamts für das Jahr 2010 emittierte die Bahn im Durchschnitt 60 Gramm CO 2 pro Personenkilometer. Beim Auto waren es 140 Gramm und beim Flugzeug auf Inlandsstrecken 205 Gramm. Auf Flughöhe abgegeben, wirkt das Treibhausgas sogar noch klimaschäd­licher als am Boden.
    9) Auf Sponti-Kurs: Wer gegen unerschütterliche Flugfans ­argumentieren muss, sollte ihnen diese Quizfragen stellen: Sie wollen doch noch ein Stündchen länger als geplant bei Ihrer Wochenendbeziehung bleiben. Nehmen Sie a) ein ­späteres Flugzeug oder b) einen späteren Zug? Plötzlich fällt Ihnen ein, dass Sie jetzt doch gerne einen Zwischenstopp einlegen wollen – wo ist das möglich? Im a) Flugzeug oder b) Zug? Sie wollen noch heute spontan nach München. Fahren Sie a) zum Flughafen oder b) zum Bahnhof? Der Quizpartner wird merken: In puncto spontanes Reisen gewinnt b) – die Bahn! Auch wird dort nicht plötzlich ein Vielfaches des ­Normalpreises gefordert, Spätentschlossenen berechnen Fluggesellschaften meist Horrorsummen.
    10) Reisen wie vor 9/11: Vor der Zugfahrt steht kein Boarding mit mehrfacher Ausweiskontrolle, kein Schuhe ausziehen oder Nacktscan, kein Gürtellösen oder Shampoo-in-ein-Liter-Tütchen-Verpacken – die Angst vor Terroranschlägen hat zwar die Flughäfen verändert, aber kaum die Bahnhöfe. Und ein Ende der aufwendigen Prozeduren ist nicht in Sicht, denn noch ist Technologie, die gefährliche Stoffe im Gepäck von Reisenden erkennen kann, nicht einsatzbereit. Vielmehr wird der Flugpassagier immer gläserner, immer mehr Angaben werden in internationale Datenbanken eingespielt.
    Aber auch Zugfans wissen: Oft kommt alles anders als geplant. Dann aber ist erstaunlicherweise jede Streckenpanne, jede Minute Zugverspätung und jeder verpasste Anschlusszug gefühlt schlimmer als etwa der Stau auf der Autobahn. Denn den hat man gewissermaßen selbst verschuldet (zu früh, zu spät, falsche Strecke gefahren). Oder auch schlimmer als ein Vulkanasche-Chaos im Flugverkehr. Denn dort ist die Angst vor einem Triebwerkausfall in 9.000 Meter Höhe groß genug, um nicht auf dem Start zu bestehen.

Harald Schmidt und
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