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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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grinsenden Purzelbäume schlägt wie eine gespenstische Bodenturnerin.

    Auf Nellís Tisch standen ein Teller mit frischgebackenen, hauchzarten Pfannkuchen und ein Bild in gelbem Rahmen. Es zeigte ein Mädchen mit Zöpfen und Schleifen, ähnlich wie Magda sie mir sonntags, zum Geburtstag und zu Weihnachten flocht.
    Ich musste backen, um die Milch zu verbrauchen, sagte Nellí. Es kamen Leute zu Besuch, die dachten, dass mein Mädchen immer noch bei mir wäre, und brachten mir Milch und Eier.
    Hat die aber schöne Zöpfe.
    Das ist wahr.
    Meine Zöpfe wurden abgesäbelt.
    Das ist schade, sagte Nellí und sah mich aufmerksam an.
    Ich überlegte, ob ich ihr von dem Zopfdiebstahl und von Nauthólsvík erzählen sollte, aber sie war auf einmal ganz aufgeregt und schlug die Schranktür hektisch zu, als sie die Zuckerdose holte – und dann drehte sie murmelnd und Grimassen schneidend eine Runde durch den Raum. Ich hoffte nur, dass das nicht der Anfang von einem dieser Anfälle war, wenn sie Gras fraß.
    Gute Leute, sagte sie, die Zuckerdose fixierend, gute Leute schneiden dem lieben Kind doch nicht die Zöpfe ab, nicht diese guten Menschen.
    Es war ein schwerer Fehler gewesen, Nellí von den abgeschnittenen Zöpfen zu erzählen. Sie hatte auf einmal panische Angst, dass ihr Mädchen wie ich einem Zopfdieb zum Opfer fallen könnte.
    Dann erinnerte sich Nellí, dass noch jemand im Raum war. Sie setzte sich mit der Zuckerdose in der Hand zu mir und schaute mich verlegen an. Sie stellte die Dose auf den Tisch, fragte, ob ich viel Zucker wollte oder wenig, ob sie den Pfannkuchen locker oder fest rollen sollte.
    Sie sah mich an und fragte: Was hast du heute gegessen?
    Eine Schnitte Graubrot.
    Mit was darauf?
    Mit nichts.
    Und dazu hast du Milch getrunken.
    Milch hatte ich noch nicht gekauft.
    Warst du nicht hungrig?
    Weiß nicht.
    Was isst du denn gern?
    In der Sjafnargata essen wir Lammkeule.
    Und was sonst?
    Lammkeule.
    Gibt es zu jedem Essen Lammkeule?
    Sonntags gibt es Lammkeule.
    Und was esst ihr an den anderen Tagen?
    Die Reste von der Keule.
    Bei dir zu Hause leben wohl nur du und deine Mutter?
    Nein, Harald und Mummi sind auch noch da.
    Dann gibt es sonntags sicher zwei Lammkeulen?
    Nein, eine.
    Was macht dein Vater?
    Harald ist Arzt.
    Was für ein Harald?
    Er ist Arzt.
    Heißt dein Vater Harald?
    Ja, und Ragnhild ist auch Arzt.
    Was für eine Ragnhild?
    Mama ist Ragnhild.
    Nellí sah mich an und schwieg so lange, dass es mir peinlich zu werden begann.
    Sie ist reinkarniert, sagte ich.
    Nellí blickte mich fragend an, aber ich wollte mich nicht weiter zu Ragnhilds Getrapse auf den verschiedenen Existenzstufen auslassen. Ich habe das auch nie so richtig begriffen, und deswegen brachte ich diese Stufen mit der Treppe in der Sjafnargata in Verbindung und nannte sie die Existenztreppe. Ich dachte auch oft darüber nach, was für ein Kraftaufwand es sein musste, andauernd geboren zu werden und zu sterben.
    Sie ist was?, fragte Nellí, als ob sie nicht richtig gehört hätte.
    Reinkarniert.
    Bist du ein Adoptivkind?
    Nicht dass ich wüsste.
    Wieso sagst du Harald und Ragnhild?
    Ich weiß es nicht. Mummi und ich nennen sie Halli und Ralla, das hören sie aber nicht, weil sie irgendwie schwerhörig sind. Außer wenn Lungen Tuberkulose oder Emphyseme in ihre Stethoskope röcheln.
    Nellí lachte bis zu den Ohren. Vier Zähne waren zu sehen, zwei Schneidezähne oben und zwei zusammenstehende Zähne hinten im Unterkiefer.
    Du siehst mir ziemlich mager aus, erklärte Nellí, als sie sich von ihrem Lachanfall erholt hatte.
    Mein kleines Mädchen war nie so dürr bei mir, fügte sie hinzu. Sie war wohl genährt, als die sie und das Bett geholt haben. Das Bett war gut.
    Wo ist sie?
    Man hat sie weggebracht.
    Wohin?
    Schwer zu sagen.
    Warum hat man sie geholt?
    Ich war voll und sie hat keinen Vater.
    Nellí beugte sich über den Tisch zu mir hin und sagte so leise, als würde sie mir ein Geheimnis eröffnen: Es
ist
besser für sie, nicht hier zu sein.
    Aber für dich?
    Ich wäre am liebsten nie geboren worden.

    Ich hatte so etwas noch nie gehört, dass jemand am liebsten nie geboren worden wäre. Ich verstand es aber so halb, wenn ich mir ein Kind mit Verbrennungen dritten Grades vorstellte,das vielleicht nach vielen Qualen auf Ragnhilds Station starb, oder ein Kind mit offenem Rücken. Dass die wahrscheinlich am liebsten gar nicht zur Welt gekommen wären.
    Ich hätte zu gern gewusst, was Ragnhild dazu meinte, denn sie hatte ja
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