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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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ruhen.
    Aber das hier sagt sie laut: Du hast heute so glasige Augen, Lilla.
    Die Nachtschicht war anstrengend. Zwei sind gestorben.

    Ich wäre am liebsten hinaus auf die Straße und schnurstracks ins Café Mokka gegangen. Ich hätte auch meinen Sportwagen holen müssen, aber mein Gott, es war genau wie damals, als Mummi und ich klein waren. Wir redeten ständig darüber, nach draußen zu gehen, und wollten vielleicht auch irgendwohin, aber wir klebten so fest in unseren Zimmern in der Sjafnargata, dass wir uns nicht dazu aufraffen konnten, aus der Tür zu gehen.
    Da ich mich nicht auf die Straße traute, wollte ich ins Bett, auch wenn es zu früh war, doch ich hing wie ein Ölgötze an der Haustür herum und beschimpfte mich selbst als arme Irre. Und noch ärmere Irre, als ich versuchte, die Tür zu meinem alten Zimmer zu öffnen. Sie war so aufgequollen, dass sie trotz meines Gewichts nicht nachgab, als ich mich dagegenlehnte. Es endete damit, dass ich sie auftrat.
    Modergeruch schlug mir entgegen, igitt, ich hätte kotzen mögen. Feuchte Streifen an der gleichen Stelle wie seinerzeit. (Wo hätten sie auch hinsollen?) Ebenso die blaue emaillierte Waschschüssel in der Ecke am Fenster, wo es hereintropfte.
    Alles an seinem Platz: das Konfirmationsbett mit dem Engelbezug, der Küchenhocker, auf den man stieg, um Wäsche aufzuhängen und Wäsche abzunehmen. Der ausrangierte Schreibtisch, den Harald von Vífilsstaðir mitgebracht, und die geschnitzte Uhr an der Wand über dem Schreibtisch, die Harald in der Schweiz gekauft hatte.
    Auch die Trachteneheleute im Inneren der Uhr sind noch an ihrem Platz. Sie hatten ursprünglich die störende Angewohnheit, vierundzwanzigmal am Tag herauszuhüpfen und sich mit gellendem Jodeln im Kreis zu drehen. Als ich einen Liebsten hatte, brachte ich endlich die Energie auf, das Ehepaar abzuklemmen. Das genügte, um sie aus dem Gesichtsfeld verschwinden zu lassen, aber sie haben nie aufgehört,zu den vollen Stunden schnurchelnd und stöhnend aus der Tiefe von sich hören zu lassen.

    Jetzt, wo du endgültig mit einem Betonmischer in dein Elternhaus zurückgekehrt bist, habe ich mein Elternhaus renoviert, bis auf das alte Moderzimmer und den Dachboden, mit besonderem Fokus auf Beleuchtung. Trotzdem walzen einige Phantome durch ihr angestammtes Revier, in jeden extra ausgeleuchteten Winkel, und verlangen zu existieren.
    Sie breiten sich allmählich aus, diese dumpfen Schatten, einige mit Zöpfen, bedrängen mich in jämmerlichem Tanz und tun so, als hätten sie eine Daseinsberechtigung. Ich warte nur darauf, dass sie stechend scharfe Konturen annehmen und mich erwürgen, am liebsten in einer konzertierten Aktion mit vielhundert Fingern.
    Ich habe nichts mit euch am Hut, ihr verkrüppelten Schattenhexen. Mit euch tanze ich nicht. Sucht euch andere Spielräume und schneidet dort eure Fratzen. Gestattet mir, weiterzumachen. Weichet von mir. Ich kann nicht mit euch tanzen. Ich beherrsche diese Schritte nicht. Die wurden in Hermanns Tanzschule nicht unterrichtet.
    Ich legte mich ins Konfirmationsbett auf den Bezug mit den zerschlissenen Engeln und weinte, als hätte ich das Weinen erfunden, in allen möglichen Varianten und Lauten, und das ich, die ich nicht einmal ein Stöhnen von mir gegeben hatte, als ich meine Töchter zur Welt brachte, und ich fand es unvorstellbar, dass du diese orangefarbene Mischtrommel aus Italien mitgebracht haben solltest.

    Am ersten Morgen, an dem ich dir die Tür öffnete, um dich aus der grellen Helligkeit des Gartens hereinzulassen, lange bevor der Tag selbst anbrach, fragtest du mich, nachdem wiruns so viel geküsst hatten, dass ich in diesem Bett schlagartig müde wurde: Tropft es bei dir ins Zimmer?
    Wie du siehst.
    Und du setztest diese Miene auf, diese ziemlich vielsagende, aber auch in meinem Namen empörte Miene.
    Als ich aufwachte, hattest du das Oberbett mit dem Engelbezug sorgfältig um uns beide gewickelt, und du sahst mich so ernst an, dass ich glaubte, du wolltest mir den Laufpass geben.
    Ich mag dich nicht Lilla nennen. Darf ich Lí zu dir sagen.
    Wenn ich an dich denke, jeden Tag, auch an dem Tag, als Harald starb, und an den Tagen, an denen meine Töchter geboren wurden, trage ich diesen Namen, den du mir gabst. Und du wirst ihn auch ganz bald wieder sagen bei unseren neuen Spaziergängen auf alten Pfaden, beim Musikpavillon am Stadtteich und auf dem Skólavörðuholt, du sagst mit deiner beherrschten Stimme, wenn du etwas Originelles siehst
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