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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus
Autoren: Michael Siefener
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gefesselt war.
Und ich erkannte Lisa, erkannte ihre Stimme wie durch Watte. Sie
stand mir gegenüber an einer anderen Wand und war ebenfalls
angekettet. Doch es waren noch mehr Leute hier.
    »Er scheint zu sich zu kommen«, sagte die eine
Stimme.
    »Das ist gut. Bewusstlos hilft er uns nicht«, sagte die
andere.
    Jetzt erkannte ich meinen Onkel und den Schlossherrn. Im Schein
unzähliger Kerzen glühten ihre Gesichter wie Teufelsmasken.
Die Kerzen standen auf dem Boden und auf einem kleinen Tisch in der
Mitte der roh ausgehauenen Höhlung. Ein Tisch?, fragte ich mich.
Nein, es war etwas Steinernes.
    Ein Altar.
    Und darauf stand eine etwa fünfzig Zentimeter hohe
Steinfigur.
    Sie stellte eine Gestalt dar, die mir nur allzu gut bekannt
war.
    »Ja, mein lieber Neffe, wir haben ihn gefunden. Ich bin dir
zu tiefem Dank verpflichtet«, sagte Onkel Jakob und schaute mich
an. Sein Blick hatte kaum mehr etwas Menschliches an sich. Teuflische
Freude lag darin, aber auch eine bodenlose Angst. »Dank eures
Hinweises haben wir noch in der Nacht den Zugang zu diesem
unterirdischen Labyrinth entdeckt.«
    »Wir sind in der Bibliothek auf seine Spur
gestoßen«, fuhr Hanisch fort. »Einer meiner Vorfahren
hatte die Gänge zumauern lassen und seitdem waren sie in
Vergessenheit geraten. Und im Herzen des Höhlenlabyrinths,
hinter einer Wand aus Schutt und Geröll, haben wir dieses
Heiligtum hier gefunden. Es dürfte noch ungefähr in
demselben Zustand sein, in dem die römischen Gläubigen es
vor mehr als tausendfünfhundert Jahren verlassen haben. Ihr
beide habt gute Arbeit geleistet!«
    »Und da habe ich mich über meine Albträume in
diesem Schloss gewundert«, sagte mein Onkel. »Ich war ihm
so nahe. Wir können bald mit der Beschwörung beginnen
– und Somniferus wird uns nichts tun, da wir ein Opfer für
ihn haben. Was sage ich: zwei Opfer; für jeden von uns beiden
eines. Freue dich, mein Neffe; einmal in deinem Leben wirst du zu
etwas nütze sein. Du wirst anderen zur letzten Erkenntnis
verhelfen. Wenn das keine Ehre ist!« Er lachte gackernd.
    »Wir sollten uns beeilen«, sagte Hanisch und schaute
sich gehetzt um.
    War das noch mein Traum oder hörte ich diese polternden, so
quälend langsam näher kommenden Schritte wirklich? Etwas
regte sich in mir. Schwarz.
    Die beiden alten Männer begannen mit einer lateinischen
Rezitation, die schauerlich durch die Höhle hallte. Sie
rasselten die mir unverständlichen Wörter mit
erschreckender Geschwindigkeit herunter.
    Dann unterbrach Onkel Jakob sich und sagte: »Deine Freundin
wird die Erste sein; sie ist schon wieder ganz bei sich. Somniferus
braucht Opfer, die völlig bei Bewusstsein sind, denn er wird ihr
Bewusstsein trinken. Das Schlafmittel, das Albert euch in die letzte
Flasche Wein geschüttet hat, wäre beinahe ein bisschen zu
stark gewesen.« Er ging hinüber zu Lisa, löste ihre
Fesseln von der Höhlenwand, wo sie an einem uralten, rostigen
Haken verankert gewesen waren, und zerrte sie zum Altar. Lisa wehrte
sich tapfer, doch mein Onkel entfaltete erstaunliche Kräfte.
Außerdem behinderten die Fesseln Lisa einfach zu sehr.
    Jetzt setzte die Rezitation wieder ein; Hanisch führte das
Ritual fort. Der Priester zog einen Dolch aus seiner schwarzen
Anzugsjacke. Die Klinge flammte im roten Kerzenschein auf wie ein
Irrlicht. Er drückte Lisa mit dem Oberkörper auf den
steinernen Altar, sodass sich ihr Gesicht nur wenige Zentimeter neben
der Statue befand. Der Priester hob die Klinge.
    Hanisch steigerte noch das Tempo seiner Rezitation. Ich sah, wie
panische Angst und Irrsinn in seinen Augen flackerten.
    Und die schrecklich hallenden Schritte kamen immer näher.
Jetzt musste sich die Gestalt, die sie verursachte, bereits in der
Höhle befinden.
    Der Priester hielt in seiner Bewegung inne und sah sich wild
um.
    Ich zerrte an meinen Fesseln. Noch immer war ich an die Wand
gekettet. Meine Blicke waren auf das Messer gerichtet. In Panik
begann ich jetzt, wieder und wieder Lisas Namen zu schreien.
    Da erhob sich ein Schatten an der Höhlenwand. Die
unzähligen blakenden Kerzen beleuchteten einen gewaltigen
schwarzen Umriss; er war anthropomorph, aber dort, wo der Kopf
hätte sein sollen, befand sich eine riesige, breiige Masse. Von
hoch oben, von knapp unter der Decke kam ein Grollen, ein Röhren
und gleichzeitig setzte der Wind wieder ein und der faulige, moderige
Geruch erfüllte die Höhle.
    Fast alle Kerzen erloschen auf einen Schlag.
    Von irgendwo, von weit her, hörte ich
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