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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus
Autoren: Michael Siefener
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Meinung nach nicht ermordet worden, sondern habe
Selbstmord begangen. Es sei zwar eine bizarre, aber beileibe keine
unmögliche Methode gewesen. Die Ergebnisse der Spurensicherung
wiesen inzwischen eindeutig in diese Richtung. Mich verwundete das
nicht mehr. Nach allem, was ich in den letzten Tagen im Angesicht des
Dämons erlebt hatte, schien mir nichts mehr zu abwegig, um dem
nackten Entsetzen und namenlosen Grauen ein freiwilliges Ende zu
machen.
    Dass ich in Adolphis Haus eingedrungen war, kam nicht mehr zur
Sprache. Ich war ein freier Mann. Aber das hieß nicht, dass ich
nun glücklich war.
    Jetzt war die Reihe an mir. Ich trat an das offene Grab, nahm die
kleine Handschaufel, die mir einer der Friedhofswärter
entgegenhielt, stieß sie in das winzige Behältnis mit Erde
und warf eine Schaufelvoll auf den Sarg. Es klang dumpf. Der Regen
leierte sein Lied dazu. Dann trat ich von dem Grab zurück.
    Nur Einbildung? War es nur Einbildung gewesen, die Albert Hanisch,
den Besitzer des Malberger Schlosses, hatte verrückt werden
lassen? Er musste mit Polizeigewalt aus dem Labyrinth gezerrt werden.
Man brachte ihn in der geschlossenen Abteilung der Landesklinik
Düren unter. Seine Zelle ist schallisoliert, wie mir Deschemski
erzählte. Wegen der Schreie.
    Deschemski. Wie sehr hatte ich diesen Mann verachtet; wie sehr
hatte mich seine großspurige, aber kleinkarierte Art
angewidert. Jetzt mochte ich ihn. Er war nicht mehr derselbe seit
jener Nacht. Nichts Anmaßendes war mehr an ihm. Aber er
beharrte darauf, dass alles nur Einbildung sei.
    Die Beerdigung war vorüber. Ich ging mit Deschemski in die
Altstadtkneipe gegenüber der Kirche.
    Wie sehr wünschte ich mir, dass Lisa bei mir wäre, dass
sie mich in den Arm nähme. Aber ich war jetzt allein, allein mit
meinen Ängsten, mit meinen Fragen, mit meiner Verwirrung. Und da
war mir Deschemski eine angenehme Gesellschaft.
    »Wenn uns dieser Taxifahrer aus Kyllburg nicht den
entscheidenden Tipp gegeben hätte, wären Sie jetzt
wahrscheinlich ebenfalls im Reich der Toten«, sagte Deschemski
zu mir, nachdem er einen tiefen Schluck Bitburger Pils getrunken
hatte. »Wie kann man nur so verrückt sein und für
einen windigen Römergott heutzutage Menschen opfern?«
    »Werden heutzutage nicht Menschen für noch
verrücktere Dinge geopfert?«, gab ich zu bedenken und trank
meine Cola in einem Zug aus. Der Wahnsinn jeder Epoche hat sein
eigenes Gewand, doch das, was darin steckt, ist immer dasselbe.
    Gestern Morgen hatten wir Lisas Vater zu Grabe getragen. Da hatte
die Sonne noch geschienen. Mir war zum Heulen zumute. Draußen
gluckerte der Regen in den Rinnen.
    »Was werden Sie jetzt machen?«, fragte mich
Deschemski.
    »Hier bleiben und das Erbe meines Onkels antreten«,
sagte ich zögernd. »Harder hat mir gesagt, dass es mir von
Rechts wegen zusteht, und ich sehe nicht ein, es an den Staat fallen
zu lassen.«
    »Mutig, nach all Ihren Erlebnissen«, sagte
Deschemski.
    »Kaum, denn jetzt jagen Sie mich ja nicht mehr«,
erwiderte ich und wagte ein schwaches Lächeln.
    Ich fragte ihn noch, wie er uns in Köln auf die Spur gekommen
war. Er hatte Lisas Freundin ausfindig gemacht. Sie war zwar nicht
gerade mitteilsam gewesen, aber er hatte Fingerabdrücke von den
Weingläsern genommen, die sie leider noch nicht gespült
hatte. So hatte er nachweisen können, dass wir bei Petra
Thienemann Unterschlupf gefunden hatten. Da ihr Wagen fehlte,
ließ er ihn sofort zur Fahndung ausschreiben, bundesweit.
Natürlich hatte er auch sofort eine Personenfahndung nach Lisa
und mir herausgegeben.
     
    * * *
     
    Nachdem ich mich von Deschemski verabschiedet hatte, fuhr ich nach
Wittlich ins Krankenhaus. Der Geruch dieses Gebäudes stieß
mich ab: diese Mischung aus Antiseptica, Bohnerwachs und Schmerzen.
Doch als ich die Tür zur Intensivstation aufstieß, waren
alle Gerüche wie weggeblasen.
    Ich ging auf Lisa zu. Sie war an unzählige Schläuche und
Drähte angeschlossen, lag apathisch da, rührte sich nicht.
Ich zog mir einen Stuhl heran, setzte mich und streichelte ihre Hand,
die unter der weißen, fleckenlosen Bettdecke hervorragte.
    Der Arzt hatte mir gestern versichert, dass für sie
Überlebenschancen bestünden. Mein Onkel hatte sie mit
seinem Messer erwischt, als er getaumelt und über den Altar
gefallen war. Er hatte ihr in den Rücken gestochen, nur sehr
knapp an der Lunge vorbei.
    Onkel Jakob hatten wir nicht mehr helfen können. Er hatte auf
dem Boden der Höhle gelegen, mit weit
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