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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus
Autoren: Michael Siefener
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aufgerissenen Augen, in
denen das Weiße nicht mehr zu sehen war. Seine Augen waren wie
schwarze Kohlenstücke gewesen. Der Mund war zu etwas verzerrt,
das keiner menschlichen Regung mehr entsprach. Unendlicher Schrecken
und unendliche Lust… Der Arzt hatte Herzversagen auf den
Totenschein geschrieben.
    Die Statue des Somniferus schien regelrecht pulverisiert worden zu
sein. Ich konnte sie nirgendwo mehr entdecken; dafür aber lag
heller, frischer Staub um den Altar verstreut. Und im grellen Schein
der Polizeitaschenlampen gab es natürlich keine Spur mehr von
einem rätselhaften und erschreckenden Umriss.
    Lisa konnte nicht sprechen. Es war zu anstrengend für sie.
Also sagte auch ich nichts, hielt nur ihre Hand.
    Und plötzlich spürte ich, wie ihre Finger sich um die
meinen schlossen. Es war das erste richtige Lebenszeichen, das sie
von sich gab! Ich sprang voller Freude auf und beugte mich über
sie. Ich sah in ihren Augen, dass sie mich erkannte.
Überglücklich gab ich ihr einen Kuss auf die Wange. Dabei
hörte ich, wie sie etwas zu sagen versuchte.
    Schließlich brachte sie es fertig, zu flüstern:
»Ich liebe dich.«
    Dann schlief sie ein.

 
Epilog
     
     
    Lisas Genesungsprozess erlitt manchen Rückschlag, doch
schließlich konnte sie nach zwei Monaten als geheilt aus dem
Krankenhaus entlassen werden, aber sie war noch sehr schwach. Sie
kündigte ihre Stelle in Köln und zog zu mir in das Haus
meines Onkels. Ich hatte so viel von ihm geerbt, dass wir es uns
jetzt leisten konnten, von den Zinsen zu leben, wenn wir sparsam
waren. Im Herbst heirateten wir. Lisas Zustand verbesserte sich
allmählich und bald war sie fast wieder so wie früher.
    Wir überlegten, ob wir den Steinfelder Mönch, der uns
den Hinweis auf Ausonius gegeben hatte, über unsere
Nachforschungen in Kenntnis setzen sollten, wie er es sich auserbeten
hatte, doch wir entschieden uns dagegen. Je weniger Leute von der
ganzen Sache wussten, desto besser.
    Irgendwann schnitt ich noch einmal das Thema unserer Suche nach
Somniferus an und wollte von ihr wissen, was sie damals in der
Höhle gesehen habe; diese Frage hatte mir die ganze Zeit
über keine Ruhe gelassen; sie verwirrte, bedrängte und
beängstigte mich. Manchmal hatte ich Albträume, doch sie
erreichten nicht die Intensität jener Visionen, die ich
während unseres schrecklichen Abenteuers gehabt hatte. Ich
erinnerte mich daran, dass ich das Gefühl gehabt hatte, etwas
Fremdes, Krankes verlasse meinen Körper. Nun konnte ich mit
dieser Empfindung nichts mehr anfangen.
    »Was ich damals gesehen habe?«, meinte Lisa, als wir im
Wohnzimmer saßen und uns nach einer langen Wanderung nach
Himmerod und zurück entspannten. »Nichts, was sich nicht
durch die ungewissen Lichtverhältnisse und die allgemeine
Verwirrung erklären ließe. Autosuggestion, sonst nichts.
Oder willst du mir sagen, dass du wirklich etwas gesehen hast?«
    Ich ließ das Thema fallen.
     
    * * *
     
    Doch einige Monate später stolperte ich im Trierischen
Volksfreund über folgenden Artikel.
     
    Bitburg (hk). – Archäologen haben unweit der Villa
Otrang eine ausgedehnte Tempelanlage gefunden, die mehreren
römischen Gottheiten geweiht war. Heinz Gruber, der Leiter der
Ausgrabung, berichtete uns gegenüber von Heiligtümern der
Venus, des Mars, der Epona und einer noch nicht identifizierten
Gottheit, deren Name aus allen Inschriften getilgt worden sei. Die
Ausgrabungen wurden von einem Unfall überschattet. Einer der
Mitarbeiter des Ausgrabungsleiters wurde am gestrigen späten
Abend tot bei der Grabungsstelle der noch nicht identifizierten
Gottheit aufgefunden. Laut polizeiärztlicher Untersuchung
scheint die Todesursache ein Herzschlag zu sein. Berichte, wonach das
Gesicht des Toten schrecklich verzerrt gewesen sei, ließen sich
nicht bestätigen. Die Grabungen werden für einen Tag
unterbrochen und morgen wieder aufgenommen.
     
    Ich legte die Zeitung beiseite und schloss die Augen.
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