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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus
Autoren: Michael Siefener
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meinen
Träumen besucht und nach einem Opfer gedrängt. Ich
hätte es nicht mehr lange aushalten können, mich weiter so
intensiv mit ihm zu beschäftigen. Adolphi, den ich – ich
muss es gestehen – aus Wut darüber, dass er und nicht ich
das Enchiridion hatte, auf die Spur des Somniferus gebracht
habe, hat sein immer stärker gewordenes Interesse mit dem Leben
bezahlt, wie ich in der Zeitung gelesen habe. Ihr seht also, wie
gefährlich Somniferus ist.«
    »Was ist mit meinem Vater passiert!?«, brauste Lisa auf.
»Haben Sie ihn etwa auf dem Gewissen?!«
    »Nicht ich, sondern er selbst – gewissermaßen. Ich
bin sicher, dass er sich selbst getötet hat. Somniferus hat sich
ihm offenbar in all seiner schrecklichen Herrlichkeit gezeigt. Das
genügt für jemanden, der nicht stark genug ist, glauben Sie
mir.« Er lächelte Lisa heimtückisch an.
    Ich sah, wie ihre Augen feucht wurden. Sie ballte die Fäuste;
ihre Knöchel stachen weiß hervor.
    Onkel Jakob fuhr fort: »Somniferus gelüstet es nach
einem richtigen Opfer.«
    »Warum hast du ihm dann nicht ein Opfer gebracht?«
    »Dazu müssen bestimmte Riten eingehalten werden«,
sagte Hanisch. »Und als Erstes hätten wir sein Bild
benötigt.«
    »Recht mechanisch, diese ganze Sache«, warf Lisa ein.
»Und nur aus Furcht vor der Rache oder der Nähe dieses
lächerlichen Götzen haben Sie Ralf auf diese irrsinnige
Odyssee geschickt?«
    »Er ist kein lächerlicher Götze; das müssten
Sie selbst doch am besten wissen!«, giftete Onkel Jakob sie an.
»Aber Sie haben Recht: Mein Neffe sollte das Götterbild
aufspüren und Harder sagen, wo es sich befindet. Dann hätte
Harder eine Anzeige in den Trierischen Volksfreund gesetzt und
ich wäre wieder aufgetaucht und hätte die Information
entgegengenommen.«
    »Und was wäre dann aus mir geworden?«, fragte
ich.
    »Nichts anderes, als du vorher bereits warst. Ein unsagbar
schlechter, erfolgloser Möchtegernschriftsteller.« Onkel
Jakob grinste mich an.
    In diesem Augenblick hätte ich ihm am liebsten einen Schlag
in sein böses altes Gesicht verpasst; ich konnte mich nur mit
Mühe beherrschen. All unsere Anstrengungen waren umsonst
gewesen; sie waren von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.
Eines wollte ich unbedingt noch wissen: »War Harder
eingeweiht?«
    »Nicht in die wesentlichen Details«, gestand mein Onkel.
»Er hatte keine Ahnung, dass ich noch lebe. Als er dir dein Erbe
in Aussicht stellte, handelte er nach bestem Wissen und Gewissen. Du
darfst ihm keine Vorwürfe machen. Aber nun, wo du alles
weißt, möchte ich gern erfahren, wie du auf meine Spur
gekommen bist und wieso du mir ohne die Statue unter die Augen
trittst. Du hast sie doch nicht dabei, oder?«
    Lisa kam mir zuvor: »Nein, aber wir haben herausgefunden,
dass sie hier ist.«
    »Hier?«, entfuhr es meinem Onkel und Hanisch
gleichzeitig.
    »Ja, irgendwo in diesem Berg. Wir hatten ja keine Ahnung,
dass wir dich hier finden, mein lieber Onkel.« Ich zog eine
angewiderte Grimasse.
    »Willst du mir nicht die ganze Geschichte
erzählen?«, fragte er. »Was bringt es jetzt noch, wenn
du sie für dich behältst? Ich bin sogar bereit, dich mit
einer großzügigen Zuwendung abzufinden, wenn du mir alles
sagst, was du weißt.«
    Ich warf einen Blick zu Lisa hinüber; sie nickte kurz und
resigniert. Nun war sowieso alles vorbei. Wir waren den Phantasmen
eines Irren hinterhergelaufen und hatten uns zum Narren halten
lassen. Das Einzige, was ich nun noch wollte, war, von hier zu
verschwinden und die ganze Sache zu vergessen. Lisa schien es nicht
anders zu gehen.
    Lisa…
    So ganz umsonst war die verrückte Suche ja doch nicht
gewesen. War ich nicht undankbar gegen mein Schicksal? Hatte ich
nicht eigentlich das Wertvollste gefunden, das es zu finden gab?
Morgen würde der Spuk vorbei sein und wir hatten die ganze
Zukunft für uns, wenn wir den ganzen Fall der Polizei
verständlich machen konnten. Doch nun standen die Chancen
dafür besser denn je.
    Dieser Gedanke gab mir neue Kraft und ich erzählte die
vollständige Geschichte – bis tief in die Nacht hinein.
Hanisch stand zwischendurch einmal auf und holte eine neue Flasche
Wein. Es dauerte recht lange, bis er wiederkam; offenbar war der
Weinkeller recht weit vom grünen Salon entfernt. Er goss Lisa
und mir nach und stellte dann die Flasche neben den Tisch.
    »Darum hat er uns nicht in Ruhe gelassen«, murmelte
Onkel Jakob. »Weil wir die ganze Zeit auf seinem Heiligtum
gehockt haben. Wir waren ihm zu nahe,
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