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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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zurückhalten, mit der Brause wäscht meine
Mutter ihr das Shampoo wieder aus den Haaren. Ob sie nachher zu mir ins Zimmer
kommen könne, frage ich meine Mutter. Anna steht auf, sie ist fertig mit Baden.
»Geht das auch morgen?«, fragt sie, »heute ist noch so viel zu tun.« Sie hält
ein Badetuch mit Zipfelmütze um Anna, rubbelt sie ab. Anna rennt kichernd aus
dem Bad. »Wir müssen noch die Haare föhnen!«, ruft meine Mutter. »Was gibt es
denn so Wichtiges?«, fragt sie mich, sie zieht sich vor dem Spiegel den
Lippenstift nach und kämmt ihre Haare.
    JULIE STEHT IM GARTEN und
wechselt den Film. Sie sei froh, dass Jan wenigstens ihre Kamera hiergelassen
habe, sagt sie. Sie hat mir ihr malvenfarbenes Kleid geliehen. Wir tragen den
Tisch unter den Apfelbaum, Julie positioniert die Kamera auf ihm. Sie will,
dass auch die Fensterläden und die Lavendelsträucher zu sehen sind. Die Sonne
scheint schräg durch die Äste des Apfelbaums und wirft ein helles, sich
bewegendes Muster an die Hauswand. Ich warte darauf, dass Julie die Taste für
den Selbstauslöser drückt, ihr Medaillon baumelt über der Kamera. Lichtpunkte
wandern über ihr Gesicht. Sie stellt sich neben mich, ihr Arm an meinem. Es
blitzt und ich höre unser Lachen, ich höre, wie es miteinander klingt, als höre
ich Fremden zu. Es blitzt noch einmal und noch einmal.
    MEINE MUTTER, ANNA UND ich
sind in der Stadt. Schon den ganzen Vormittag ziehen wir durch die überfüllten
Geschäfte. Es ist Advent, Anna ist zwei Jahre alt. Mutter trägt Anna noch immer
mit einem Gurt an ihrem Körper, ich frage mich, wie lange sie das noch machen
will, schließlich wird Anna auch älter und schwerer und der Rücken meiner
Mutter sieht nicht aus, als würde er kräftiger und breiter. Ich bin über und
über mit vollen Plastiktüten bepackt, ich trage die Weihnachtseinkäufe meiner
Mutter, die Lebensmittel und die neuen Kleidungsstücke für Anna. Immer wenn
Anna ein Stückchen wächst, hat meine Mutter schon das passende nächstgrößere
Teil.
    Wir kämpfen uns durch den grauen Schneematsch. Plötzlich flattern
Tauben auf, ein ganzer Schwarm, der aus dem Nichts kommt. Sie flattern auf uns
zu, als habe jemand Trockenfutter für sie über uns ausgeschüttet. Sie schlagen
aufgeregt mit den Flügeln, scharren sich um uns. Ich halte die Luft an und
laufe weg. Ein paar Meter weiter bleibe ich stehen und sehe zurück. Meine
Mutter, die versucht, Annas Kopf mit den Händen zu schützen. Anna, die sich
kaum bewegt, die vielleicht von alldem nichts mitbekommt. Meine Mutter, die
nicht in meine Richtung blickt. Trotzdem kann ich die Panik in ihren Augen
erkennen.
    Es ist bereits dunkel, als wir zu Hause ankommen. Ich
nehme die Post mit hoch. Die Karte ist nachadressiert. Auf dem Adressfeld ein
Aufkleber, darauf unsere Namen und unsere neue Anschrift. Meine Mutter und ich
stehen im Wohnungsflur und lesen die Karte, Jahre nachdem sie abgeschickt wurde.
    Â»Meine lieben Frauen«, lesen wir, »die Termine hier sind wie jedes
Mal anstrengend, aber ich kann jeden Tag im Meer schwimmen. An den Tagen, an
denen Ebbe ist, bleibt mir nur das Schwimmbecken, wo das Flutwasser zwar aufgefangen
wird, ich mich aber ein bisschen eingesperrt fühle. Abends sind die Familien
weg, dann habe ich das Becken fast für mich allein. Es küsst euch euer Frank«.
Darunter steht ganz klein ein Nachtrag: »Liebe Juno, diesen Sommer will ich dir
das Tennisspielen beibringen. Papa«
    Meine Mutter küsst Anna auf die Schläfe, schnallt sich den Tragegurt
ab. Sie legt Anna in ihr Bett. Sie nimmt mich an die Hand, wir gehen in mein
Zimmer. Meine Mutter schließt die Tür hinter uns und nimmt mich in den Arm. Sie
hält mich fest. Sie legt ihren Kopf auf meine Schulter und ich spüre, wie ihre
Tränen durch meinen Pullover dringen.
    ICH STEIGE INS AUTO . Julie
wird noch ein paar Tage in Coulard bleiben. Sie will Camille helfen, die Bar du
Matin winterfest zu machen. Camille hat versprochen, dann und wann nach unserem
Haus zu schauen und uns zu schreiben. In ein paar Tagen wird Julie auch ihren
Koffer packen und sich von Camille zum nächsten Bahnhof fahren lassen. Sie wird
sich erst in einen klapprigen und lauten Zug setzen, in dem sie nicht schlafen
kann, dann wird sie umsteigen. Im zweiten Zug wird die Landschaft verschwommen
am Fenster vorbeischnellen, die Klimaanlage
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