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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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fest, sie wacht nicht auf, nicht vom Klirren des Geschirrs,
als ich es abwasche, nicht vom Staubsauger, mit dem ich die Zimmer im
Erdgeschoss säubere, sie wacht auch nicht auf, als ich die Haustür öffne, ein
Windstoß durch das Haus fegt und eine Tür knallen lässt.
    Unter der Küchenspüle finde ich den Farbeimer und einen Pinsel. Ich
streiche die Haustür in Seegrün und streiche auch noch einmal die Fensterläden,
damit die Farbe kräftiger strahlt. Ich denke daran, wie es wäre, wenn man den
Garten mit Hortensien bepflanzen würde, wenn man Holzstühle und kleine Tische
aufstellte, an denen man Monaco servierte. Schnell verwerfe ich den Gedanken
wieder.
    MEINE MUTTER IST SCHWANGER .
Ihr Bauch wird immer größer. »Jetzt bekommst du endlich dein Geschwisterchen«, sagt
sie, das hätte ich mir doch so lange gewünscht. Sie legt die Hände auf den
Bauch und streicht darauf herum, »manchmal tritt es schon«, sagt sie. Ich
versuche, mich ein wenig zu freuen, und lege mein rechtes Ohr an ihren Bauch.
    Manchmal male ich mir aus, wie es wäre, wenn der Freund meiner
Mutter wieder verschwinden würde, wenn er seine Tasche und seinen karierten
Schal von der Garderobe nähme und die Tür hinter sich schließe. Ich überlege,
was ich machen könnte, damit er geht, damit meine Mutter und ich die Wohnung
wieder für uns haben, bevor das Kind kommt. Ich denke darüber nach, etwas über
ihn zu erzählen, etwas, das ich beobachtet habe, dass er zum Beispiel eine
andere Frau küsst oder ihr Geld gibt. Er würde nach einem großen Streit gehen
müssen.
    Ich stelle mir vor, dass meine Mutter in der Küche am Tisch sitzt.
Sie lässt die Augen nicht von ihrem Rezeptbuch und sagt mit einem Stift im
Mund: »Jetzt sind wir also wieder allein, Juno«. Sie schaut kurz auf, drückt
meine Hand fest. »Wenn du willst, kannst du wieder in dein altes Zimmer mit dem
Balkon ziehen.« Sie steht auf und macht das Buch zu. Sie fragt mich, ob ich
schon mal im Blumenladen nebenan etwas für meinen Balkon aussuchen will.
    Ich weiß, dass nichts so wäre, wenn ihr Freund nicht mehr da wäre,
dass ich nachts wieder allein zu Hause wäre, dass meine Mutter auch dann nicht
mit mir zusammen auf den Friedhof ginge. Es wäre nicht schöner ohne ihn.
    JULIE KOMMT IN DEN GARTEN ,
»genug geschlafen«, sagt sie, eine Tasse Tee in der Hand. Sie sieht mir beim
Streichen zu. »Der Farbeimer stand in der Dusche, als ich zum ersten Mal im
Haus war. Der muss noch von damals sein.«
    Den Schlüssel habe sie schon vor acht Jahren bekommen, erzählt Julie
und nippt mit spitzen Lippen an ihrem Tee. Sie habe schon vorher unermüdlich
versucht, mit Frank Kontakt aufzubauen, habe angerufen, habe geschrieben, doch
nie sei auch etwas zurückgekommen. Am anderen Ende wurde einfach aufgelegt, die
Postkarten blieben ohne Antwort. Sie wärmt ihre Hände an der Tasse, sieht mich
beim Reden nicht an. Irgendwann erhielt sie einen dicken, hellbraunen Umschlag
mit deutschen Briefmarken, adressiert an ihre Mutter. Ihre Mutter war noch
arbeiten. Es interessierte Julie nicht, dass der Brief nicht für sie war. Sie
riss den Umschlag sofort auf, Papierfetzen flogen auf den Boden. Der
Eisenschlüssel fiel aus dem Umschlag, er war in feines Seidenpapier verpackt.
»Sehr geehrte Frau Stephan, der Vater Ihrer Tochter ist gestorben«, stand in einem
beiliegenden Brief, und dass dieser Schlüssel der Schlüssel zum Erbe der
Tochter sei, dass sie ihn bewahren solle, bis die Tochter alt genug sei. Dass
die Familie des Vaters damit nichts mehr zu tun haben wolle, dass das Haus also
ganz und gar der Tochter gehöre.
    Julie sei aus der Wohnung gegangen und habe sich auf eine Bank am
Hafen gesetzt. Sie blickte auf die Segelboote und saß den ganzen Tag in der
Sonne, bewegte sich kaum. Leute berührten sie an der Schulter und sprachen sie
an, ob alles in Ordnung sei oder ob man ihr irgendwie helfen könne. Julie
antwortete, dass ihr Vater soeben gestorben sei und dass da niemand helfen
könne. Abends waren ihr Gesicht und die Arme verbrannt, obwohl sie sonst nie
Sonnenbrand bekam, und auch am Rücken schälte sich die Haut.
    Als ihre Mutter aus der Praxis kam, zeigte sie ihr den Brief und den
Schlüssel. Zum ersten Mal sah Julie ihre Mutter schweigen. Sie erlaubte ihr
nicht, sofort zum Haus zu fahren. Julie dachte kurz darüber nach, trotzdem
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