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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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Fortschritte nach den
langen Therapien, zu oft ändere sich gar nichts und die Familie sei darüber
enttäuscht. Aber wir sind nicht enttäuscht, denn es gibt nichts, das uns enttäuschen
müsste. Mein Vater steht morgens vor meiner Mutter auf, manchmal fährt er mit
dem Fahrrad in die Stadt und holt frische Brötchen. Er spricht von Reisen in
südliche oder in asiatische Länder oder auf Inseln, für die er uns Flugtickets
buchen will, er spricht von einem neuen Job, den er suchen will, er spricht vom
Garten, den er verändern möchte, die Gemüsebeete sollen größer, die Rasenfläche
soll verkleinert werden. Er spricht davon, alte Freundschaften wieder zu
aktivieren. Mein Vater hat Pläne und die ganze Zeit redet er mit einem Glanz in
den Augen über sie, beim Sprechen macht er ausladende Gesten. Meine Mutter, die
leise über den Tisch hinweg seufzt, es ist ein glückliches Seufzen. Sie ist
erleichtert.
    Mein Vater und ich wünschen uns Tiere, richtige Haustiere,
die wir aussuchen und die wir jeden Tag pflegen können, nicht nur die Katze,
die die meiste Zeit allein draußen verbringt. Wir versuchen, meine Mutter zu
überreden. Wir haben doch genug Platz hier im Haus und auch im Garten, bitte,
flehe ich sie an. Sie müsse sich auch nicht um die Tiere kümmern, und wenn sie
wolle, müsse sie sie noch nicht einmal sehen, wir können uns nämlich auch
Wildgänse vorstellen oder kleine Wollschweine, die wir im Garten halten. Wir
haben keine Nachbarn, die gestört werden können, und Geräusche gäbe es auch
kaum. Doch meine Mutter bleibt stur.
    DER TAKT DER TAGE in Coulard
verändert sich. Die Besucher in der Bar du Matin werden weniger, es kommt kaum
mehr jemand, der Muscheln essen, der Cidre oder Wein trinken will. Die kleinen
Kioske, an denen man Postkarten, Luftmatratzen und Zeitschriften kaufen kann,
verkürzen ihre Öffnungszeiten. Am Strand werden keine Surfbretter und Boote
mehr verliehen. In der Stadt sehe ich, wie die Urlauber ihre Familienautos
beladen und einsteigen, wie sie die Sonnenblenden oder Tücher von den Fenstern abnehmen
und losfahren, in ein Leben mit Struktur, mit frühem Aufstehen und Arbeiten,
mit Kindergarten und Schule, mit Hausputz und Mittagessen.
    Julie hat immer öfter frei. Wir liegen auf Bastmatten im
Sand und sehen aufs Meer, auf die Bojen und die kleinen, bretonischen Wellen,
die gegen den Strand schlagen und langsam näher kommen.
    Julie zündet sich eine Zigarette an. Ob Jan wiederkomme, frage ich
sie, und sie lässt sich Zeit mit einer Antwort. Seit sie hierherfahre, sei er
jeden Sommer auch in seinem Haus gewesen, und jedes Jahr habe er mehr Modelle
gehabt, sagt sie und zieht sich ihr T-Shirt aus. Wahrscheinlich sei er auch
nächstes Jahr wieder hier und versinke in den Papierstapeln in seinem
Arbeitszimmer, manchmal sitze er tagelang in seinem Haus und hänge im ganzen
Zimmer Pläne auf, auch an die Fenster. Oft falle ihm gar nicht auf, dass kaum
ein Lichtstrahl mehr ins Zimmer komme. Sie wisse nicht, ob er wirklich
Architekt sei, auf Fragen gebe er ungern Antworten, sagt sie, aber seine stille
Art beruhige sie. Sie drückt ihre Zigarette im Sand aus, steht auf und läuft
zum Wasser. Für einen Kopfsprung ist es zu flach. Sie lässt sich sanft ins
Wasser gleiten, taucht kurz unter und schwimmt los, krault an den Bojen vorbei,
bald kann ich sie kaum noch sehen.
    Mein Handy liegt auf dem Küchentisch und blinkt. Meine
Mutter hat mir eine SMS geschrieben. »Hallo Juno, wie geht’s dir?«, lese ich.
»Wann kommst du zurück?« Ich lese die SMS noch einmal und weiß nicht, was ich
antworten soll. Ich lege das Handy zurück auf den Küchentisch.
    Julie steht unter der Dusche und wäscht sich den Sand vom Körper.
Ich sehe mich im Spiegel an. Ich sehe mein Haar, es ist von der Sonne hell
gesträhnt. In Gedanken höre ich Julies Worte, höre, wie sie sagt: »Du solltest
bleiben«.
    DER SPIEGEL IM BADEZIMMER ist
beschlagen, es riecht nach Babyöl. Anna sitzt in der Wanne und hat Schaum auf
der Handfläche. Sie klatscht in die Hände, ein bisschen Schaum wirbelt durch
die Luft. Meine Mutter sitzt am Beckenrand und passt auf, dass nichts passiert.
Ich putze die Zähne und gucke den beiden zu. Meine Mutter nimmt etwas Shampoo
in die Hand. »Augen zuhalten«, sagt sie zu Anna und massiert das Shampoo in
Annas Haare. Anna soll den Kopf
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