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Der Brombeerpirat

Der Brombeerpirat

Titel: Der Brombeerpirat
Autoren: Sandra Lüpkes
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01.
    Heiter bis wolkig, 26°C im Schatten
    Das Mädchen saß bereits vor dem Bunker, mitten im Brombeergestrüpp, die Knie angezogen, und ließ den Blick, diesen seltsam grauen, teilnahmslosen Blick, in die Ferne schweifen. Sie schien zu warten. Auf ihn bestimmt nicht.
    Remmer ließ den Motor mit einem blubbernden Geräusch absaufen, dann stieg er vom Mofa. Seine Oberschenkel klebten auf dem schwarzen Kunstleder, die Sonne hatte den Sattel ziemlich aufgeheizt, jetzt zeichneten sich hinten knapp unterm Po wahrscheinlich rote, schwitzige Falten ab. Er hoffte, dass die Neurodermitis nicht wieder aufblühen würde. Sie hatte ihn seit langem verschont, doch die Hitze leistete seiner Krankheit Vorschub. Die Fahrt hier heraus war einfach zu weit, um mit dem Fahrrad zu kommen. Zumindest, wenn er wie heute seinen Bass da beihatte. Er löste die ausgeleierten Gummizüge, die er am unteren Rand des Gepäckkarrens festgeklemmt hatte. Schreckliche Sommerhitze, sicher musste er das Instrument gleich stimmen. Seine Laune war heute nicht gut, obwohl er sich auf die Probe freute, vor allem auf das »Nachher«, wenn sie in Jaspers Vierzigsten reinfeiern würden. Er war jedoch kein Freund von Temperaturen über 25 Grad, selbst der Aufkle ber auf seinem Koffer war weich geschmolzen. Als er den Kasten abstellte, ratschte die Kante des Gepäck trägers über die ovale Folie und von »Die Piraten« blieb nur noch ein welliges »Die P…en« übrig. Vielleicht hatte Jasper noch einen neuen Sticker dabei.
    Das Mädchen starrte immer noch in Richtung Birkenwäldchen, obwohl es dort wirklich nichts Besonderes zu sehen gab. Eigentlich hatte Remmer vorgehabt, sie zu ignorieren. Sie war ihm unangenehm. Doch als er den rostigen Schlüssel im Schloss der Bunkertür umdrehte, murrte er: »Hast du nichts Besseres zu tun, als um diese Zeit hier am Ende der Welt Löcher in die Luft zu starren?«
    Sie wandte langsam den Kopf, fast, als hätte sie ihn jetzt erst bemerkt, und Remmer bereute, dass er überhaupt den Mund aufgemacht hatte.
    »Ich warte auf Jasper«, sagte sie tonlos.
    »Na, dann warte mal, der kommt nie pünktlich.« Remmer stieß die Tür auf und betrat den abgedunkelten, winzigen Raum, in dem jede, aber auch wirklich jede Ecke mit Dingen voll gestellt war, die schwarz waren und Kabel hatten. Jede Menge teure Sachen, zwölftausend Euro auf zwölf Quadratmeter gequetscht. Wenn die Musik nicht so verdammt viel Spaß machen würde, dann wäre dies hier wirklich eine Zumutung. Doch wer laut war auf der Insel, für den war eben kein Platz. Die Gäste waren schließlich schon laut genug.
    Remmer steckte erst die rosaroten Wachskügelchen in die Ohren, dann das Kabel in den Verstärker. Er kippte den Schalter auf ON, drehte die Regler nur ein paar Millimeter im Uhrzeigersinn. Ein paar Minuten für sich, die hatte er jeden Sonntagabend. Er war immer der Erste. Ein satter, dumpfer Ton floss aus dem vibrierenden Tieftöner. Es war nicht der, den er erhofft hatte, die Hitze hatte, wie vermutet, das Instrument verstimmt. Seine Finger fanden den passenden Bund wie von selbst, er bemerkte nicht mehr die Kraft, die das Herabdrücken der dicken Metallsaiten erforderte, dazu spielte er schon viel zu lang. Das Stimmgerät zeigte die Tondifferenz, und er drehte an der Saitenmechanik, bis das Instrument so klang, wie es klingen musste.
    Vielen Menschen war nicht klar, worin der Reiz beim Bassspielen lag. Remmer wusste es. Tiefe, Substanz und Hintergründigkeit, ohne das klang Mu sik flach wie Spieluhrgedudel. Im Grunde war er auch nicht der Mann, der sich in den Vordergrund spielte, dafür war Jasper zuständig. Jasper reimte sich nicht umsonst auf Kasper. Jasper sah gut aus, trotz der vierzig Jahre, die er morgen auf dem Buckel haben würde, er lachte auf seine ganz eigene Weise, eigentlich strahlte er mehr. Seine Bewegungen erfassten den ganzen Körper, wenn er Gitarre spielte und sang. Eigentlich wunderte es niemanden, dass selbst die ganz jungen Mädchen für ihn schwärmten, von den erwachsenen Frauen ganz zu schweigen. Nun gut, Norderney war nicht die große Bühne und Jasper nicht Bon Jovi, aber wenn sie die »Piraten« waren, dann war Jasper der Kapitän.
    Und er, Remmer, war der Maschinist. Vielleicht war er viel zu dickbäuchig und ein wenig zu dünnhäutig, doch der Kapitän konnte schreien, wie er wollte, ohne den Motor ging es nicht, ohne ihn war alles Flaute. Remmers Fingerkuppen liefen über den hölzernen Steg wie bei einem Tanz auf der
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