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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck
Autoren: Christa Wolf
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Holunder und Lupinen. Fremdes Gewächs, wie wir.
    Von rechts Frau Warkentin auf dem Fahrrad. Genau hinhören, in welchem Ton sie ihren Gruß erwiderte. Sie war launisch, sie konnte grußlos vorbeifahren, ohne daß man dafür einen Grund erfuhr. Heute war sie freundlich und mitteilsam. Ja, ins Dorf, rief sie, im Vorbeifahren, Sonntagseinkauf. Damit sie vor der gröbsten Hitze zurück wäre. Man käme ja reineweg um. – Das können Sie laut sagen, rief Jan, wird wieder hübsch warm.
    Ellen hörte sie reden. Sie sah den Hund Lux mit hängender Zunge und steil aufgerichtetem Schwanz von Schependonks herübergehechelt kommen, sah ihn über die geschlossene Zaunpforte setzen und die Wurststücke im Flug schnappen, die Jan ihm zuwarf. Guter Hund. Ja! Sitz! Ist ja gut. Ellen sah Jan selbstvergessen lächeln, wie der Hund sich genußvoll den Hals von ihm tätscheln ließ. – Warum sie nicht antworte. – Was er denn gefragt habe. – Er habe sie gefragt, woran sie schon wieder denke. – Sie denke schon wieder an gar nichts. Übrigens habe sie Abstand genommen.
    Endlich, sagte Jan. Aber wovon?
    Von dir, sagte Ellen. Auch von dir. Damit ich dich besser sehen kann.
    Ein spöttischer Augenblick.
    Denke sie manchmal, er sei ihr zu nahe? – Manchmal schon. Manchmal könne es schon lästig sein, immer ganz genau gesehen zu werden. Niemals ein Rad schlagen dürfen. Für keines der kleinen Kunststückchen bestaunt zu werden, und sei es wenigstens zum Schein. Manchmal, mein Lieber, würde ich ein bißchen Illumination diesem genauen Licht schon vorziehen, daß dus weißt.
    Das sagte Ellen, und Jan erwiderte, wie immer: Ja, meine Liebe: Dafür ist es nun zu spät.
    Es muß doch möglich sein, dachte Ellen, zu schreiben, ohne etwas oder jemanden dabei zu verletzen.

5.
    Die Kuckucksoper, wißt ihr noch? Wir hatten doch diesen übertriebenen Kuckuck, oder sind alle Kuckuckspaare in unserer Gegend einen Sommer lang meschugge gewesen? Dieser Wahnsinnskuckuck, sagte Jenny, der macht sich über uns lustig. Sie lief mit ihrer Freundin Tussy die »Rote Flöte« entlang, wo der Wartburgfahrer sie endlich abgesetzt hatte, immer noch widerstrebend. Gerne, liebend gerne hätte er sie bis vor die Haustür gefahren. Zu liebenswürdig, aber das letzte Stück ginge sie immer zu Fuß, das sei so eine Angewohnheit von ihr, übrigens bedanke sie sich auch noch für das Frühstück. Tussy fand Jenny wieder einmal unverfroren, aber Jenny fragte ungerührt zurück, ob sie es wirklich gewollt hätte, daß der Wartburgfahrer ihre Adresse kannte. Dann fing der Kuckuck an, sie begannen zu zählen. Vierundzwanzig, fünfundzwanzig...
    Dieses Gelb in diesem Grün macht mich irre. Diese Massen von Butterblumen, groß wie Teetassen, auf den kuhgrünen Wiesen. Einunddreißig, zweiunddreißig, zählte Tussy laut. So was müßte verboten werden, sagte Jenny. Oder sie müßten Warnschilder aufstellen, damit der Schock den harmlosen Reisenden nicht übermannt. Zähl weiter! sagte Tussy, um selbst fragen zu können, ob das eigentlich fair gewesen war, diesem Typ im Wartburg kühl zu erklären, sie, Jenny, heiße Ingelore und sei Kellnerin. Zweiundvierzig! rief Jenny. Fair? Sagtest du fair? O Mann, dich krieg ich auch nicht mehr groß. Ob es ihr wirklich entgangen sei, daß der Typ, den sie übrigens auf gehobenen wissenschaftlichen Mitarbeitertaxiere, sie beide auf die sanfte Tour habe ausquetschen wollen? Ganz sicher, um sich ihre Auskünfte zu notieren und sie demnächst in seiner Doktorarbeit über »Bewußtseinsstrukturen unserer Jugend« zu verwursten. Vierundfünfzig, fünfundfünfzig... Meinst du? sagte Tussy. Aber dann gleich du mit deinem ausschweifenden Sächsisch. Das muß der gemerkt haben! Sollte er ja, sagte Jenny. Sechzig! Dieses Biest gibt mir den Rest! Ihr gepflegtes Sächsisch sei ihre Art, jemandem auf feine Weise klarzumachen, daß er ihr aufs Gemüt gehe. Dieser Wartburgtyp sei aber einer von der hartgesottenen Sorte gewesen, dafür habe er ruhig das Frühstück bezahlen können. Und das nächste Mal habe sie, Tussy, ebenfalls auf sächsisch zu behaupten, sie heiße Bianca und sei Bardame. Siebenundsechzig, achtundsechzig... Bardame? glaubt mir doch keiner, sagte Tussy. Dann solle sie gefälligst an sich arbeiten und nicht immer ihre Freundin für sich reden lassen und höchstens an den heikelsten Stellen einen Lachkrampf kriegen. Oder bist du vielleicht kein lernfähiges System.
    Aye, aye, Sir.
    Bleib stehen! rief Jenny beschwörend, und Tussy
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