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Sommerprickeln

Sommerprickeln

Titel: Sommerprickeln
Autoren: Mary Kay Andrews
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mittleren Fenster, doch es gelang Annajane, an ihr vorbeizuschlüpfen. Sie betete, dass sich keine Schlangen in dem dicken Laubteppich unter ihren Füßen versteckten. Mit beiden Händen umklammerte sie die Fensterbank und schob stöhnend das Fenster hoch. Dann kletterte sie hinein.
    Sofort ärgerte sie sich, es getan zu haben. Ihre schmutzigen Schuhe hinterließen Abdrücke in der dicken Staubschicht auf dem Holzboden. Spinnenweben schmückten den Deckenventilator über ihr. Die Möbel – ein alter Toilettentisch und ein Himmelbett aus Mahagoni mit passender Kommode ohne besonderen Wert – stammten vom Dachboden in Cherry Hill. Mason hatte sich nicht die Mühe gemacht, irgendwelche Möbelstücke wegzuräumen, als er ausgezogen war. Jetzt zierte ein blassgrüner Schimmelüberzug das dunkel lackierte Holz. Irgendein Tier hatte an den Matratzen genagt.
    Annajane lief mit hängenden Schultern durchs Zimmer, fuhr mit den Fingern an den Wänden entlang, die sie an einem verrückten Wochenende dreimal gestrichen hatte, ehe sie den genau richtigen Farbton hatten: ein strahlendes Morgenhimmelblau.
    Sie hätte nicht herkommen sollen. Annajane öffnete den Wandschrank, der so klein war, dass sie mal gescherzt hatten, darin sei nicht mal Platz für eines der vielen Familiengeheimnisse der Bayless’. Er war so gut wie leer. Ein paar verrostete Kleiderbügel, eine gefaltete grüne Wolldecke. An einem Haken hinter der Tür entdeckte Annajane ein verblichenes kariertes Flanellhemd von Mason, das er immer zur Gartenarbeit angezogen hatte. In der Ecke standen seine mit Erde überzogenen Arbeitsstiefel ohne Schnürsenkel, die kameradschaftlich neben ihren ausgetretenen alten Tennisschuhen ausharrten. Ohne nachzudenken, zog Annajane das Flanellhemd über. Sie versenkte die Nase im Stoff, suchte nach einer Erinnerung an ihren ehemaligen Mann, an jene glückliche Zeit, die sie bei der Einrichtung dieses Cottage gehabt hatten. Stattdessen musste sie heftig niesen, und eine winzige tote Spinne wurde in die schimmelig riechende Luft geschleudert.
    Annajanes Schritte hallten in dem Haus wider, während sie von Zimmer zu Zimmer ging. Genaugenommen, besaß das Haus nur drei Räume: das Schlafzimmer, ein L-förmiges Wohn-Esszimmer und die Küche, dazu natürlich ein Badezimmer, das nicht viel größer als der Wandschrank war.
    Sie öffnete einen Küchenschrank nach dem anderen. In dem Fach neben dem Herd fand sie eine vergilbte Packung Pfannkuchenteig und ein offenes Päckchen Backpulver. Aus einem Säckchen quollen Reiskörner, eine Maus hatte ein Loch hinein genagt. In dem Schrank neben dem Kühlschrank standen zwei nicht zueinander passende Kaffeebecher und grüne Werbegläser von Quixie. Der Kühlschrank selbst war mit Rostflecken übersät.
    Annajane blieb vor der Spüle stehen und schaute durch das Fenster auf den See. Von hier aus konnte sie den verwitterten Anlegesteg sehen, der ins Wasser ragte. Darauf hatten sie sich früher gesonnt, waren in mondhellen Sommernächten nackt in das überraschend kalte Wasser gesprungen, in einer anderen Nacht einmal hinaus auf den See gepaddelt, um sich betrunken auf dem Boden eines alten hölzernen Ruderbootes zu lieben, ein Versuch, bei dem sie schließlich beide in den See gefallen waren.
    Einst hatten sie große Pläne gehabt. Am Ende des Anlegers wollten sie ein zweistöckiges Bootshaus mit einer Terrasse und einer windgeschützten Veranda bauen, oben ein gemauerter Kamin für Grillabende und Partys, unten ein Davit für die Sallieforth , ein heruntergekommenes, knapp sechs Meter langes Motorboot, das Mason hoffte, irgendwann wieder zum Fahren zu bringen.
    So viele Pläne. Damals war der See von einem klaren Blaugrün gewesen, und kleine Wellen plätscherten ans Ufer, das von blauen Hortensien, roten Geranien und Margeriten gesäumt wurde, gepflanzt von der Frau des alten Hausmeisters. Jetzt erstickte Unkraut das Ufer und versperrte den Blick aufs Wasser. Annajane spürte, wie eine Melancholie, so kalt und grau wie der Wintersee, in ihre Seele kroch.
    Sie wandte sich vom Fenster ab und schlenderte ins Wohnzimmer, wo nur noch ein klobiges braunes Ausziehsofa stand, geerbt von einem Zimmergenossen Masons am College. Gegenüber vom Sofa war der Kamin, wo sich halb verbrannte Scheite auf einem kleinen Haufen Asche türmten. In der alten Kupferschale daneben hatte früher Material zum Anzünden gelegen, Streichhölzer und zerknüllte Zeitungen. Annajane griff hinein, fand zwei brauchbare Zweige, ein
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