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Sommerprickeln

Sommerprickeln

Titel: Sommerprickeln
Autoren: Mary Kay Andrews
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distanziert mit ihm in der Firma zu sprechen. Aber dann kam wieder ohne jede Vorwarnung das, was sie als »letztes Aufflackern« bezeichnete.
    Beispielsweise ging Mason mit seinem beschwingten Schritt durchs Büro, ließ vielleicht bei einer Mitarbeiterin sein Lächeln aufblitzen. Ach, dieses Lächeln … Sein lässiges Grinsen, bei dem man den linken Eckzahn sehen konnte, von dem in jungen Jahren bei einem Ringkampf mit Davis eine Ecke abgebrochen war – Annajane brauchte es nur zu sehen und verlor die Kontrolle. Sie musste aufstehen und zur Toilette laufen, schloss sich dort ein und heulte wie ein Baby.
    Manchmal flackerte es auch im Auto auf. Sie fuhr durch die Gegend, und plötzlich erklang ihr gemeinsames Lied. Don’t Stop Believin’ . Dann war es vorbei. Einmal hätte sie fast einen Motorradfahrer von der Straße gedrängt, als sie spätabends von der Firma nach Hause fuhr und das Lied im Radio lief. Sie hatte auf den Standstreifen fahren, die Fenster runterlassen und sich zwingen müssen, ihre brennenden Wangen mit der feuchten Februarluft zu kühlen, um wieder in der Realität anzukommen.
    Sie hatte sogar ihre eigene Form von Exorzismus angewandt, um über Mason hinwegzukommen. Vor drei Jahren war sie am zweiten Jahrestag ihrer Scheidung in das Cottage am See geschlichen, das so eng mit ihrer gemeinsamen Geschichte verbunden war.

    Es war ein leichter Winterregen gefallen, als sie sich mit dem Wagen über den unbefestigten Weg getastet hatte, der durch den dichten Wald zum See führte. Offiziell hieß der See nach einem hochdekorierten örtlichen Helden aus dem Ersten Weltkrieg, Lake Wesley Forlines Jr. , doch jeder in Passcoe nannte ihn nur den »geheimen See«, weil der einzige öffentliche Strand und die Bootsrampe aufgrund von Haushaltskürzungen im Landkreis längst geschlossen worden waren. Man gelangte nur noch über das Anwesen der Bayless’ zum See. Über das Privatgrundstück.
    Unkraut und Baumschößlinge wucherten auf dem schmalen Pfad, und Annajane vermutete, dass der Rest der Familie das Häuschen wahrscheinlich vergessen hatte, seit Mason und sie ausgezogen waren. Vielleicht, dachte sie in einem Moment der Panik, hatte das Cottage sich schließlich dem Unausweichlichen gebeugt und war schlichtweg eingestürzt.
    Doch das kleine Steinhäuschen war immer noch da, kauerte sich unter die nackten Zweige einer großen alten Schwarzeiche. Eicheln knirschten unter ihren Reifen, als sie wenige Meter vom Haus entfernt anhielt. Beim Aussteigen erhaschte Annajane durch die wild wuchernde Ligusterhecke, die den von Mason so sorgfältig gepflegten Rasen verdrängt hatte, einen graugrünen Blick auf den See.
    Dornen fingen sich in ihrer Jeans, als sie das klapprige Tor aus Zedernholz aufschob. Annajane pflückte eine getrocknete Hagebutte der New-Dawn-Rose, die sich durch die Latten des Zauns wand. Die beiden Rosenbüsche waren ein Hochzeitsgeschenk ihres Stiefvaters gewesen, der sie selbst mit dem Versprechen gepflanzt hatte, die schnell wachsenden Kletterrosen würden den Zaun innerhalb eines Jahres mit hübschen rosa Blüten überziehen. Was sie auch taten. Die Rosen hatten überlebt, während ihre Ehe verblüht war.
    Mit einem Stirnrunzeln stand Annajane vor dem Cottage. Die lavendelblaue Farbe, mit der sie die alte Tür noch vor drei Jahren gestrichen hatte, war gerissen und blätterte ab. Schlimmer noch: eine rostende Eisenschließe und ein glänzendes neues Schloss waren am Holz befestigt. Als Mason und Annajane hier lebten, hatten sie nicht einmal einen Schlüssel für das Haus gehabt. Aber nun, da es verlassen war, hatte es jemand für angebracht gehalten, es ordentlich zu verschließen. Sie versuchte, durch das Vorderfenster zu spähen, doch die billigen Bambusjalousien waren heruntergezogen, außerdem starrten die Scheiben vor Schmutz.
    Annajane ging um das Haus herum nach hinten und versuchte, die Tür dort zu öffnen, die in eine kleine Abstellkammer führte. Die Holztür war völlig vergammelt, aber offensichtlich von innen verriegelt, und Annajane hatte Angst, wenn sie zu heftig daran rüttelte, würde sie sie aus den Angeln reißen. Und das ginge nicht. Annajane wollte nicht, dass ihr Besuch im Cottage bekannt wurde. Deshalb ging sie links weiter, zu der breiten Fensterfront, von der aus man auf den See blickte. Zumindest hatte man das früher gekonnt, als dort das Schlafzimmer untergebracht war. Jetzt schaute man hauptsächlich auf totes Unkraut. Eine schmächtige Kamelie stand vor dem
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