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Sommernachtszauber (German Edition)

Sommernachtszauber (German Edition)

Titel: Sommernachtszauber (German Edition)
Autoren: Ellen Alpsten
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das uralte Land gelesen. Kai schluckte.
Schwierig.
Wie blöd das klang, wenn es um Atombomben, Verbot der Redefreiheit, Folter und abgeschlachtete Demonstranten ging. Er wollte im Erdboden versinken, so doof fühlte er sich.
    Mudi atmete langsam und hörbar durch die Nase aus. Als er sprach, klang seine Stimme geduldig, als hätte er es statt mit Kai mit einem Kind zu tun. »Genau.
Schwierig.
So ist das dort. Aber Gott sei Dank konnte meine Familie das Land verlassen.«
    »Aha … Kann man denn einfach so ausreisen?«
    »Nein. Meine Eltern hatten Verbindungen, sagen sie immer. Sonst kannst du das so gut wie vergessen. Aber wir hatten es hier am Anfang verdammt schwer. Bis meine Eltern Deutsch gelernt hatten, eine Wohnung für uns frei wurde und sie ein Darlehen für ihr Café bekommen haben, lebten wir in einem Auffanglager. Hunderte von Betten, die nur durch Vorhänge getrennt waren. Ich bin echt stolz auf meine Eltern und auf das, was sie für uns auf sich genommen haben.«
    »Für uns?«
    »Ich habe noch eine Schwester. Aber hauptsächlich ging es meinen Eltern bei der Ausreise wohl um mich, ohne machohaft klingen zu wollen. Mein Großvater war unter dem Schah Reza Pahlewi einer der höchsten Richter im Land. Deshalb will ich auch Jura studieren und werden wie er. Ich will
wirklich
Recht sprechen, statt mich mit der
Scharia
abzugeben. Und darum werde ich in seine Fußstapfen treten, das weiß ich. Dann haben sich wenigstens alle ihre Mühen gelohnt. Im Iran hätte ich keine Chance gehabt. Nenn mir ein Problem, irgendeines, wir haben es dort bestimmt! Arbeitslosigkeit, Luftverschmutzung, Krankheiten, Seuchen, Naturkatastrophen, Drogenmissbrauch, Prostitution, eine der höchsten Selbstmordraten der Welt unter Jugendlichen, galoppierende Inflation und, und, und.«
    Kai nickte stumm, denn sowohl Mudis Ernsthaftigkeit als auch die Selbstverständlichkeit, mit der er seinen Weg voraussah, beeindruckten ihn. Hier hatte jemand ein Ziel und wollte später wichtige Entscheidungen treffen. Mehr, als nur nächsten Samstag ins Kino zu gehen und sich zu fragen, welchen Film man sehen wollte. Mudi war nicht nur ernst, es
war
ihm ernst. Das war der große Unterschied zwischen ihm und anderen.
    Kai sah auf seine Uhr. Es war beinahe Mittag geworden. Mist, Selina war wohl schon lange weg. Aber er hätte Mudi ja auch nicht einfach stehen lassen können. Und er hätte es auch gar nicht gewollt, gestand er sich ein.
    »Was machst du jetzt, Mudi? Ich gehe in die Mensa. Willst du mitkommen?«
    Mudi schüttelte den Kopf. »Ich würde gerne, aber meine Schwester wartet zu Hause mit dem Essen auf mich.«
    »Deine Schwester wartet mit dem Essen auf dich?«, wiederholte Kai erstaunt. So was hatte er als Antwort nicht erwartet.
    »Ja. Unsere Eltern arbeiten beide, und da hat sie gestern Abend schon groß gekocht, damit wir heute alle zusammen ein Fest feiern können – jetzt, wo ich ganz offiziell Jurastudent bin. Das kann ich auf keinen Fall verpassen. Sie hat sich solche Mühe gegeben. Außerdem kommen meine Eltern ausnahmsweise zum Mittagessen nach Hause. Das verstehst du doch sicher, oder?«
    »Klar«, sagte Kai, aber er war sich nicht sicher, ob er wirklich verstand.
    »Komm doch mit«, sagte Mudi plötzlich.
    »Wie meinst du das?«
    »Na, wo vier satt werden, hat auch noch ein Fünfter Platz. Wenn nicht noch mehr. Wenn Iranerinnen kochen, dann kann man damit eine Heerschar eine Woche lang verköstigen. Außerdem gilt bei ihnen
Nein danke
nicht als Antwort.« Er grinste. »Gleichzeitig ist nichts beleidigender für eine iranische Familie, als wenn der Gast alles, was ihm gereicht wird, auch aufessen könnte. Und Halva kocht gut, sehr gut sogar.«
    »Halva?«
    »Das ist meine Schwester.«
    Kai zögerte. Er hatte keine Vorstellung von iranischem Essen. War das so ähnlich wie Döner Kebab? Den aß er ja morgens um vier, wenn sie alle am Welserplatz aus der
Wunderbar
kamen, sehr gerne. Aber was, wenn ihm das Essen nicht schmeckte oder er einen furchtbaren Patzer beging, weil er irgendeine Etikette nicht kannte? Bestimmt würde er noch jemandem auf den Schlips treten, wo er doch so wenig über den Iran wusste. Es würde für ihn ein durch und durch unentspannter Nachmittag werden, so viel war klar – und das konnte er jetzt gar nicht gebrauchen. Deshalb sagte er: »Danke, nett von dir, aber lieber ein anderes Mal.«
    »Klar. Gerne. Und danke noch mal, Kai. Das erzähle ich daheim, wie du die Tante da gefilmt hast. Das war echt ritterlich
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