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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei
Autoren: Manuela Martini
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mich gepresst, halte ich die Luft an, mache mich so klein wie möglich und linse durch den unteren Spalt zwischen den Stufen zur Tür.
    Leonie stößt die Tür auf, sofort geht das Licht an, ich wage nicht mehr zu atmen. »Sie hat doch keinen Schlüssel!«, sagt Leonie.
    Wenn sie mich jetzt hier entdecken… sie sind zu zweit…
    Vivian kommt hinter Leonie herein. »Los, sehen wir trotzdem nach!«, sagt sie und stürmt hinter Leonie auf die Treppe zu, sie trampeln direkt über mir hinauf, ich warte, bis sie den Teppichboden erreicht haben, der ihre Schritte verschluckt.
    Jetzt!
    Ich will mich gerade erheben, als ich höre: »Mensch, sie muss durchs Kellerfenster reingekommen sein!«
    Ich muss hier weg, sofort. Doch zu spät. Schritte über mir. Sie kommen die Treppe wieder runter.
    »Los, beeil ich! Man kommt ganz schlecht von innen nach draußen! Vielleicht ist sie noch unten!«
    Und wenn sie auf die Idee kommen, dass ich noch hier drin bin? Im Wohnzimmer? Unter der Treppe…?
    Direkt über mir bleiben sie stehen. Ich höre auf zu atmen. Wage nicht, mich zu bewegen oder aufzusehen, ob sie mich vielleicht nicht längst entdeckt haben.
    »Halt!« Leonies Stimme. »Bleib du hier an der Eingangstür. Ich sehe unten im Keller nach. Vielleicht ist sie noch hier.«
    »Okay!« Leonie geht die letzten Stufen hinunter, verschwindet dann weiter rechts, hinter der Tür zum Keller.
    Und wie, verflucht, soll ich jetzt hier rauskommen? Ich spüre Vivian über mir. Gott, hoffentlich kann ich solange noch die Luft anhalten…
    »Vivian!«, dringt Leonies Stimme aus dem Keller. »Sie war hier! Ihre Tasche steht hier unten!«
    »Echt?« Polternd rennt Vivian die Stufen hinunter und wendet sich zur Kellertür.
    Das ist meine einzige Chance. Jetzt oder nie! Mir bleiben nur ein paar Sekunden.
    Ich spurte durch die offen stehende Haustür hinaus in die Dunkelheit, renne, so schnell ich kann, über den Kiesweg hinaus auf die Straße.
    Wohin? Magisch zieht mich die Musik von der Partywiese an. Bis hierher ist sie zu hören. Doch Leonie und Vivian werden mich bestimmt dort zuerst suchen. Weiter, erst mal weiter. Ich entdecke eine Tiefgarageneinfahrt. Ein großer Blumenkübel steht dort als Eckbegrenzung. Das Licht einer Straßenlaterne erreicht gerade noch die Kante des Betonkübels. Dahinter ist schützender tiefschwarzer Schatten. Ich überlege nicht lange, sondern ducke mich dort in die dunkelste Ecke. Ich bin so schnell gelaufen, dass mein Hals trocken ist und sticht. Meine Hand, in der ich das Muschelkästchen gehalten habe, fühlt sich taub an. Langsam beruhigt sich mein Atem.
    Ich nehme das Kästchen und stelle es vor mich auf den noch immer warmen Asphalt. Der Deckel lässt sich nicht hochheben. Wäre auch zu schön gewesen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als es mit Gewalt zu öffnen. Ich schlage die Kante erst auf den Boden, dann gegen die Ecke des Blumenkübels. Die Truhe zerbricht in der Mitte, Ringe und Glasperlen rollen heraus, eine kleine Giraffe aus Glas zerspringt, gefaltete Seiten mit Löchern und Perforation fallen heraus – und die Teile der Postkarte. Sie bedecken die kaputte Giraffe, die bunten Perlen und die vielen Muscheln.
    Mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren, als ich die Postkartenschnipsel aufhebe und auf dem Betonboden zusammenlege.
    Kein Zweifel. Ich ziehe die Postkarte aus meiner Hosentasche. Identisch. Absolut identisch. XS-Bar. Das Cocktailglas mit der Zitronenscheibe. Auf der Rückseite kann ich im fahlen Licht der Straßenlaterne lesen:
    XS-Bar, Hauptstraße 11, Kinding-Chiemsee.
    Die Handschrift von Maurice kenne ich nicht. Abgesehen davon, dass es ziemlich ungewöhnlich ist, eine Postkarte zu schreiben – warum hat er keine SMS geschickt? –, war Maurice schon fast ein Jahr tot, als das XS aufgemacht hat.
    Gut, die Handschrift lässt nicht unbedingt auf ein Mädchen schließen und ich kenne Leonies Handschrift, schließlich hat sie mir ja auch Briefe ins Gefängnis geschrieben. Aber das hat nichts zu sagen, denn ich weiß, dass Leonie ihre Entschuldigungsschreiben für die Schule oft selbst unterschrieben hat – mit dem Namen ihrer Mutter. In Zeichnen gehörte sie zu den Besten.
    Die einzige Erklärung, die mir zu dieser Karte, die angeblich von Maurice stammen soll, einfällt, ist, dass Leonie mir ein Motiv liefern wollte, damit ich glauben konnte, mit Maurice gestritten und ihn deshalb erschlagen zu haben.
    Aber ich bin mir gerade so sicher wie noch nie: Ich habe im Bootshaus nicht mit
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