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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei
Autoren: Manuela Martini
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here – I wish I were there where rivers flow and the wind whistles our song … So kurz das Leben… ich treibe davon…
    Etwas packt meinen Arm, reißt mich hoch, katapultiert mich hinauf, hinauf in den Weltraum. Meine Lungen blähen sich, saugen den ganzen Sauerstoff der Welt ein, dann erst sehe ich das Gesicht über mir. Traum? Wirklichkeit? Bin ich schon tot?
    Ich huste, pruste, spucke Wasser. Nein! Franz Niederreiter…
    Entsetzt starre ich ihn an. Er ist klatschnass, es schüttet, es donnert, es blitzt. Dann erst begreife ich, dass er mich gerade vor dem Tod gerettet hat. Er trägt mich zum Ufer, setzt mich vor einem Baum auf dem Boden ab. Meine Kleider sind triefnass und scheinen Tonnen zu wiegen. Meine Lunge brennt, ich röchle, japse, huste, sauge alle Luft ein, die auf diesem Planeten existiert.
    Er hockt neben mir, ich lehne mich gegen ihn, lasse meinen schweren Körper gegen den seinen sinken.
    »Sah nicht mehr nach Spaß aus«, sagt er. Sein offenes Hemd und seine Hose kleben auf seinem Körper. »Wollte gerade mal nach dem Stromaggregat sehn, bei so ’nem Gewitter weiß man ja nie, da hab ich Schreie gehört.«
    »Danke«, murmle ich, »danke.« Ich zittere am ganzen Körper, meine Lippen beben vor Kälte.
    »Was wollten die eigentlich von dir?«, fragt er.
    Ich sehe mich um, doch da ist niemand mehr. Nur zwei Scheinwerferkegel dringen durch die regnerische Nacht und ein laufender Motor ist zu hören. Der von Niederreiters Jeep.
    »Sie haben ihn umgebracht, weil sie ihn mir nicht gegönnt haben.« Die Worte kommen aus meinem Mund, doch meine Stimme klingt fremd, als gehörte sie jemand anders.
    Stirnrunzelnd sieht er mich an. »Bist du das Mädchen von der Tankstelle, das ins Gefängnis kam?«
    Ich nicke.
    »Du warst unschuldig.«
    »Ja«, sage ich, dann schüttelt mich ein erneuter Hustenanfall. Das Sprechen tut weh. »Aber das wusste ich bis heute Nacht nicht sicher.«
    Sein Blick schweift über den See, über den noch immer Blitze zucken. »Man kann nicht mehr schlafen. Und niemand kann einen wirklich verstehen. Weil es da diese dunkle Kammer im Herzen gibt. Die man mit sich rumschleppt, bis zum Tod.«
    Ja. Doch auch jetzt, wo ich weiß, dass ich unschuldig bin, bin ich mir sicher, dass ich niemals vergessen werde, wie Maurice tot vor mir lag. Man hat ihm sein Leben genommen, einfach so. Sie dürfen nicht so einfach davonkommen. Ich rapple mich auf. »Wir müssen sie finden!« Er hilft mir aufstehen. Seine Hand ist nass.
    »Sie sind abgehauen, als sie mich kommen gesehen haben.«
    Mein Abschiedsbrief liegt noch immer unter dem Stein. Ich strecke die Hand aus, in dem Augenblick heult ein Motor auf, immer und immer wieder.
    Stimmt! Sie sind mit Leonies Auto gekommen, müssen irgendwo geparkt haben…
    »Hört sich an, als wäre jemand im Schlamm stecken geblieben«, sagt Niederreiter, »komm!«
    Es schüttet jetzt wie aus Kübeln. In der nächsten Sekunde schon sitze ich neben ihm im Auto, Niederreiter tritt aufs Gas. Der Wagen rast über den Feldweg am Ufer entlang. Im Scheinwerferlicht fliegen die Regentropfen und Bäume auf uns zu. Da blitzt rechts auf der Wiese etwas auf, Leonies Mercedes, festgefahren wohl. Der Jeep steht mit einem Ruck, der Gurt reißt mich zurück, im selben Augenblick schießt der Mercedes heulend vor uns quer über den Feldweg, in die Baumreihe am See hinein – ein krachender Knall, der Motor verstummt, die Scheinwerfer gehen aus.
    Ich starre stumm auf die Szenerie, die langsam vor meinen Augen verschwimmt. Dann umfängt mich tiefe Dunkelheit.

34
    Ein hellblauer Himmel spannt sich über die Berge und den See, ein paar harmlose weiße Schleierwolken ziehen gemächlich darüber. Die Luft ist nicht mehr schwül, sondern frisch wie im Frühling. Als wäre etwas sauber gewaschen worden, denke ich und muss über den Vergleich lächeln. Benjamin steht neben mir, sein Arm ist so nah an meinem, dass ich die feinen Härchen spüren kann, die angenehm auf meiner Haut kitzeln. Laut Bahnhofsuhr bleiben uns nur noch fünf Minuten.
    Es gäbe so viel zu sagen, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht geht es ihm genauso und wir haben die stille Übereinkunft getroffen, lieber zu schweigen.
    Mein Blackout gestern hatte nur wenige Minuten gedauert. Als ich wieder zu mir kam, drehten sich vor mir Blaulichter von Polizei und Krankenwagen und Benjamins Gesicht war meinem ganz nah. Ich saß noch immer in Niederreiters Jeep und auf die Frontscheibe prasselten Regentropfen, aber
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