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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei
Autoren: Manuela Martini
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das Gewitter war abgezogen.
    »Ich hab mir gedacht, dass du zum Bootshaus wolltest, um alles noch mal zu erleben«, sagte er und seine ruhige Stimme tat mir gut. »Ich hab mit dem Dealer gesprochen, du weißt schon, der letztes Jahr auf der Sommerparty war. Er hat mir erzählt, dass ein Mädchen, das bei ihm immer Stoff kauft, ziemlich gefrustet ist, weil sie in ihren Lehrer verliebt ist, der aber seit dem Mord im Bootshaus nichts mehr von ihr wissen will. Ehrlich gesagt, hab ich ins Blaue hinein auf den Referendar getippt. Ich hab mich nämlich schon lange gefragt, was der wohl da am Bootshaus gesucht hat – so mitten in der Nacht. Außerdem soll er ja auch noch ein ziemlicher Mädchenschwarm sein. Der Dealer war ein bisschen geschwätzig und hat mir den Namen des Mädchens verraten. Ich bin heute mit dem Zeitungsartikel zu ihr gegangen und äh… na ja… ich hab ein bisschen geblufft, dass die Polizei einen Zeugen gefunden hat, der sie und Olaf Ritter am Bootshaus gesehen hat. Mann, die war echt ganz schön durch den Wind, stand wohl die ganze Zeit schon unter Stress. Und irgendwie war sie erleichtert, glaube ich, als sie mir erzählt hat, wie es wirklich war.«
    »Sie wollten mich wirklich ertränken«, murmelte ich, noch immer fassungslos.
    »Ja, Franz Niederreiter hat der Polizei schon alles berichtet… einem Kollegen von Winter. Nadia hat nämlich auch Winter belastet«, sagte er und drückte meine Hand. »Und Olaf Ritter.«
    Ich nickte, zu mehr war ich nicht fähig.
    In den Krankenwagen wurden Tragen geschoben.
    »Außer ein paar Schürfwunden haben sie nichts abgekriegt«, sagte er, als könnte er meine Gedanken lesen und lächelte. »Körperlich, meine ich«, fügte er hinzu.
    Ich weiß nicht, ob es dieses Lächeln war oder das Gefühl, wie er meine Hand hielt, aber als sich unsere Blicke trafen, brach etwas in mir auf. Eine Kruste, irgendwas, was diese tiefe Wunde in mir überwachsen hatte. Ich heulte und hörte nicht mehr auf, bis ich so schluchzte, dass ich kaum noch atmen konnte. Da fing er mich in seinen Armen auf und streichelte immer wieder über mein Haar. Ich wollte etwas sagen, mich entschuldigen, doch er legte nur den Finger auf seine Lippen und sagte: »Psst, ist schon okay…«
    Aus dem Lautsprecher kommt die Ansage für meinen Zug nach Köln. Der Zeiger auf der großen Uhr springt einen Minutenstrich weiter. Heute Abend werde ich meinen Eltern erzählen, was passiert ist. Vielleicht werde ich es dann wirklich begreifen.
    Mit schrillem Quietschen fährt der Zug ein. Auf dem Bahnsteig macht sich Unruhe breit.
    »Meinst du, wir sehen uns wieder?«, fragt er und sieht mich an.
    »Ich heiße Benjamin«, hat er bei unserer ersten Begegnung gesagt und ich war erleichtert, dass er blaue und nicht braune Augen hatte – wie Maurice.
    »Ich werde ihn nie vergessen können«, sage ich.
    »Das sollst du ja auch nicht.«
    Ich nicke. Er lächelt. Wir umarmen uns, dann reicht er mir die Tasche in den Zug.
    Ich nehme den ersten Fensterplatz. Benjamin steht immer noch da am Bahnsteig. Als er mich entdeckt, legt er seine flache Hand an die Scheibe. Ich lege meine dagegen. Obwohl das Glas uns trennt, spüre ich seine Hand auf meiner.
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