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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei
Autoren: Manuela Martini
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umklammert und Maurice liegt vor mir.
    »Ist was?«, fragt sie.
    »Das T-Shirt«, sage ich und versuche, nicht zu stammeln, »he, das ist einfach cool.«
    Sie sieht an sich herunter. »Das?« Langsam hebt sie ihren Blick, fixiert meine Augen. »Wieso sagst du das jetzt?«, fragt sie und in ihrem Ton ist etwas Lauerndes.
    »Wollte ich dir schon immer sagen«, bringe ich hervor und ringe mir ein harmloses Lächeln ab, während ich versuche, mein Zittern zu unterdrücken. Es war das Einhorn. Ganz bestimmt. Der Blitz im Bootshaus war das Einhorn auf Vivians T-Shirt, das im Mondlicht reflektiert hat…
    Ich muss hier weg… aber wie?
    Vivians Gesicht ist meinem ganz nah. »Bist du gerade abgetreten, oder was?«
    »Nein, nein, alles okay«, sage ich rasch. Ich kann es nicht fassen, vor mir beginnt sich alles zu drehen, ich schnappe nach Luft und die Worte formen sich schon in meiner Kehle: Warum hast du das getan, Vivian?
    Doch etwas in mir warnt mich, das zu tun. Vivian hat mich ins Gefängnis gehen lassen. Sie wird auch jetzt nicht davor zurückschrecken zu verhindern, dass sie zur Rechenschaft gezogen wird. Warum auch immer sie es getan hat.
    »Äh, ich glaube, du hast recht. Ich weiß Freundschaft wahrscheinlich wirklich nicht richtig zu würdigen«, bringe ich hervor. Mein Magen rebelliert, mein ganzes Blut ist scheinbar in die Ohren geflossen, so fühlen sie sich an – glühend heiß, während alle anderen Körperteile kalt wie Eis sind. Los, rede weiter!, befehle ich mir. Sie darf nichts merken! »Ich bin einfach so verzweifelt«, stammle ich, »und als ich dann von der Bar hörte – nein, vergiss es, Vivian. Und bitte, sag Leonie nichts davon. Es tut mir leid, wirklich, wie konnte ich nur… ich bin total durcheinander. Ich hör auf, wirklich, dieses ganze Sich-Erinnern bringt mich nur in Schwierigkeiten. Du hast recht, Vivian. Freundschaft ist etwas Kostbares und ich glaube, ja, ich glaube, ich hab das einfach nicht kapiert. Tut mir leid. Wirklich.« Ich presse ein Lächeln hervor und gehe schon einen Schritt rückwärts.
    Vivian sieht mich stumm an. Ich merke, wie es in ihr arbeitet. Wenn ich diese Tour noch ein bisschen weiter durchziehe, denkt sie vielleicht wirklich, dass ich einfach durchgeknallt bin, und ich kann mich unauffällig von ihr loseisen.
    Leonies Haus ist nur zwei Straßen weiter. Ich wäre in kaum fünf Minuten da. Und dann? Kommissar Winter rufe ich bestimmt nicht an. Benjamin könnte mir helfen…! Aber ich hab seine Karte weggeworfen. Da fällt mir das offene Kellerfenster ein.
    Ich schüttle den Kopf. »Vivian, ich fahre heim. Ich hätte gar nicht erst kommen sollen. Es tut mir alles so schrecklich leid.« Ich zucke die Schultern und will gehen.
    Hat sie es geschluckt? Glaubt sie mir, dass ich so durcheinander bin?
    »Ist wahrscheinlich das Beste, ja«, sagt sie, »weißt du…« Ihre Augen haben einen wässrigen Glanz bekommen, das rote Haar lodert im Licht wie ein Feuerkranz. »Leonie hat immer zu dir gehalten. Du bist ihre beste Freundin.«
    Mein Gott, kann jemand so perfekt lügen? Der Boden unter meinen Füßen fühlt sich an wie eine wabblige Matratze. »Danke, Vivian. Wirklich, es tut mir leid.« Ich muss mich nicht verstellen, um irritiert zu wirken.
    Nach ein paar Schritten drehe ich mich noch mal um. Da steht sie und sieht mir nach, hebt die rechte Hand, ich versuche, den Gruß zu erwidern, aber mein Arm weigert sich.
    Als sich das Tor endlich hinter mir schließt, muss ich mich zwingen, nicht loszurennen. Erst an der Kastanie vor Leonies Haus bleibe ich stehen und atme tief ein und aus.

31
    Und wenn ich mich täusche?
    Immer und immer wieder rufe ich mir die Bilder ins Gedächtnis zurück, die mich fast jede Nacht heimsuchen. Der silberne Blitz war ein Einhorn. Ganz sicher! Vivian war in der Nacht im Bootshaus gewesen. Aber was hat Leonie damit zu tun?
    Ich habe den Kiesweg erreicht, der in einem sanften Bogen vor das Haus führt. Der Bewegungsmelder hat jetzt die Laternen eingeschaltet, sie erhellen den Weg und den Eingang, lassen den weißen Kies gleißen. Die Fenster sind immer noch dunkel.
    Im Schatten eines hohen Buschs bleibe ich stehen und lausche. Aus der Ferne dringt Musik von der Partywiese heran. Ein paar Vögel zwitschern noch und irgendwo fährt ein Auto weg. Ich gehe weiter, ich versuche, meine Schritte nicht auf dem Kies knirschen zu lassen, was aber nicht funktioniert.
    Wo ist das Kellerfenster?
    Ich laufe am Teich vorbei, ducke mich unter Büschen hindurch,
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