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Sommerkuesse

Titel: Sommerkuesse
Autoren: Sara Ryan
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Vorstellungsrunde. Sagt einfach, wie ihr heißt und weshalb ihr euch für Archäologie entschieden habt.«
    Die meisten Antworten sind langweilig. »Weil es irgendwie interessant klang.« Zwei von den Jungs, Alex und Ben, scheinen total eingebildet zu sein. »Da ich den anderen in meiner Klasse so weit voraus bin, fühle ich mich an meiner Schule sehr oft unterfordert und wollte deshalb einen etwas anspruchsvolleren Kurs belegen.« – »Ich lerne Altgriechisch und Latein und dachte, da ist Archäologie eine ganz gute Ergänzung.« Die einzige originelle Begründung liefert ein schwarz gekleidetes Mädchen aus der letzten Reihe. »Ich möchte Grabstätten entweihen.« Aber ich glaube, das sollte noch nicht mal ein Witz sein.
    Ich bin die Letzte in der Runde und sage ganz ehrlich, dass ich schon Archäologin werden will, seit ich das erste Mal etwas von Archäologie gehört habe.

    »Und das war wann?«, will Ms Fraser wissen.
    »Als ich ›Erinnerung an glückliche Tage‹ gelesen hab – diesen Roman von Agatha Christie, in dem sie beschreibt, wie sie ihren Mann zu einer Ausgrabung begleitet hat.«
    Anne, die Asiatin, die neben mir sitzt, ruft: »Den hab ich auch gelesen!« Wir lächeln uns an.
    Ms Fraser trinkt einen Schluck Kaffee. »Also, Leute, nachdem wir uns jetzt alle so intim kennen gelernt haben, erzähle ich euch mal ein bisschen was. Wir haben nicht sehr viel Zeit – nur ein Drittel der Stundenzahl eines regulären Unikurses -, deshalb fasse ich mich kurz.« Sie sieht uns scharf an: »Ich bin hier, um euch die Wahrheit zu sagen, und ich sage sie euch lieber gleich, damit ihr noch rechtzeitig umdisponieren und euch für Englische Literatur oder Politologie einschreiben könnt. Also: Archäologie ist Müll.«
    Sie nippt wieder am Kaffee. »Ich wiederhole das gerne noch einmal, für diejenigen, die es nicht verstanden haben: Archäologie ist Müll. Um genau zu sein, Archäologie ist die Kunst, sich durch die Hinterlassenschaften anderer Leute zu wühlen und zu versuchen, aus den Überbleibseln Schlussfolgerungen über ihr Leben und die Kultur, in der sie lebten, zu ziehen. Eure Aufgabe in diesem Kurs besteht darin, die verschiedenen Methoden zu lernen, diesen Müll aufzuspüren und ihn zu klassifizieren, wenn ihr ihn denn gefunden habt. Leider können wir hier nur wenige praktische Übungen machen, was bedauerlich ist, aber ihr bekommt zumindest Gelegenheit, eine Ausgrabungsstätte zu besichtigen, auf der momentan tatsächlich gearbeitet wird, und möglicherweise ergibt sich sogar noch mehr – das ist im Moment aber noch nicht spruchreif. So weit alles klar, oder hat jemand eine Frage?«

    »Ja, ich. Ich würde gern wissen, wie Sie eigentlich dazu kommen, die Hinterlassenschaften der gesamten menschlichen Spezies als Müll zu bezeichnen. Das ist total respektlos, und es überrascht mich wirklich, dass gerade Sie als Professorin darüber Witze machen.«
    Das kam von Alex – Arrogantling Numero uno.
    Ms Fraser guckt erst ein bisschen baff und lacht dann. »Gut, dass du das ansprichst, Alex. Wenn ich sage, dass Archäologie Müll ist, meine ich das natürlich keineswegs respektlos. Man könnte mich als professionelle ›Müllfrau‹ bezeichnen, und mein – übrigens nicht besonders hohes – Gehalt bekomme ich, damit ich euch davon überzeuge, ebenfalls Müllmänner und -frauen zu werden. Wenn ich meinen Beruf nicht lieben würde, säße ich jetzt nicht hier. Aber ich finde es wichtig, euch von vornherein klar zu machen, dass der Berufsalltag eines Archäologen nichts Glamouröses an sich hat. Ihr müsst mit äußerster Sorgfalt arbeiten, jeden einzelnen Fund gewissenhaft dokumentieren, euch von eingefahrenen Vorstellungen lösen – und jederzeit auf Überraschungen gefasst sein. Damit ihr euch an Letzteres schon mal gewöhnt, werde ich euch im Laufe des Kurses übrigens von Zeit zu Zeit mit unangekündigten Tests überraschen.«
    Allgemeines Aufstöhnen. Sie lächelt.
    »Ich unterrichte gern und freue mich auf die Arbeit mit euch. Und ich möchte, dass ihr wisst, dass ich auch außerhalb der Unterrichtszeit für euch da bin. Ich habe im Laufe der Jahre schon viele Empfehlungen geschrieben und informiere euch auch gern über die Angebote der Archäologie- und Anthropologie-Fakultäten an den verschiedenen Colleges und Unis. Ich kenne eine Menge Leute, die in diesen Fächern
arbeiten. Und ich beantworte eure E-Mails, auch wenn es manchmal ein bisschen dauert.«
    Alex hebt schon wieder die Hand. Ms Fraser
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