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Sommerkuesse

Titel: Sommerkuesse
Autoren: Sara Ryan
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im Schulorchester die erste Bratsche spielen.

    Als ich sie aus dem Kasten nehme, fühlt sie sich warm an, und ich ärgere mich, sie so nah ans Fenster gestellt zu haben, durch das die Sonne ins Zimmer strahlt. In Zukunft sollte ich sie lieber unter dem Bett aufbewahren. Es dauert sowieso schon jedes Mal eine Ewigkeit, sie zu stimmen, und wenn sie warm ist, ist es noch schlimmer.
    Ich drücke den Wirbel der A-Saite so fest in das Holz wie möglich, obwohl ich befürchte, dass es gleich plopp machen wird und die Saite wieder verstimmt ist.
    Während ich mit den übrigen Saiten kämpfe, gucke ich aus dem Fenster auf die Grünfläche unten im Hof, die voller Bäume steht und an deren Rand ein paar Bänke aufgestellt sind. Irgendwelche Leute, die ich nicht kenne, werfen sich eine Frisbeescheibe zu, und ich meine, Kevin zu erkennen, der mit ein paar anderen Jungs mit einem dieser reisgefüllten Säckchen spielt, das sie sich zukicken. »Hacky Sack« – oder wie die Dinger heißen.
    Ich drehe mich vom Fenster weg, schlage die Noten auf und fange an zu spielen.
     
    »Carl Sutter ist ein Mensch gewordener Gott!«, verkündet Katrina beim Mittagessen, das heute aus einer Matschpizza besteht, die aber nicht ganz so widerlich schmeckt wie sie aussieht. Vielleicht gewöhne ich mich ja mit der Zeit so an den Schweinefraß, dass ich gutes Essen gar nicht mehr zu würdigen weiß, wenn ich nach Hause komme.
    »Und wer – bitte – soll dieser Carl Sutter sein?«, fragt Isaac.
    »Carl Sutter ist ein Genie, gnadenlos gut angezogen und zufälligerweise auch noch unser Dozent in Informatik. Ihr solltet wirklich umsatteln, solange ihr noch könnt, und der
wahren Pracht und Herrlichkeit ins Antlitz blicken, die da heißt Carl.«
    »Hey, Battle«, sage ich. »Unsere Dozentin hat vorhin irgendwas davon erzählt, dass man Fundstücke in der Erde entdecken kann, ohne nach ihnen zu graben. Ist die so eine Art archäologische Hellseherin, oder was?«
    »Ah, dann ist es noch die alte Dozentin! Dasselbe hat sie uns letztes Jahr auch erzählt.« Battle grinst zufrieden. »Die Methode hat irgendeinen besonderen Namen, der mir jetzt nicht einfällt – jedenfalls benutzt man Metalldetektoren und andere Geräte, um zu sehen, was im Boden liegt. Damit man die Ausgrabungsstätte nicht durch Buddeln zerstören muss.«
    »Und wozu das Ganze?« Es enttäuscht mich ein bisschen, dass die Erklärung so banal ist.
    »Na ja, wenn man alles ausgräbt und woanders hinbringt, hat man ja eigentlich keine archäologische Stätte mehr. Dann fehlt der Kontext«, erklärt mir Battle in ihrem melodischen, sanften Südstaatendialekt.
    »Ach so, wie in Krimis. Wenn man die Leiche vom Tatort entfernt, kann man den Fall vielleicht nicht mehr lösen.« Isaac nimmt seine Brille ab und reibt sich den Nasenrücken.
    »Trotzdem kommt mir das etwas übertrieben vor. Archäologen haben doch immer schon Sachen ausgegraben«, sage ich.
    »Wahrscheinlich ist das die moderne, politisch korrekte Form von Archäologie. Man holzt den Regenwald nicht ab und buddelt eben auch keine Sachen mehr aus«, mutmaßt Katrina.
    »Da wir gerade von Politik reden – unser Dozent heißt übrigens Michail Gorbatschow«, sagt Isaac. »Nee, war nur
ein Witz. Es ist Ralph Nader, der uns was über grüne Politik in Amerika erzählen will. Aber mal im Ernst jetzt, es ist Richard Nixon. Auferstanden von den Toten und voller Tatendrang.«
    Ich bin die Einzige, die darüber lacht. »Sag schon, wer ist es denn jetzt wirklich?«, frage ich.
    »Ach, irgend so ein Typ. Hab seinen Namen schon vergessen.«
    »Dann ist es also nicht so toll?«, hake ich nach.
    Katrina legt die Hände um den Mund wie ein Megafon. »Keine falschen Hemmungen! Lernt, wie man Computern beibringt, auf Kommando zu gehorchen!«
    »Du bist ja ein richtiger Computerfreak«, sagt Isaac, und seine Stimme klingt ehrlich verwundert.
    »Hast du vielleicht ein Problem mit Frauen, die sich für Computer interessieren?«, faucht Katrina.
    »O Mann, pass bloß auf, Alter. Gleich knallt sie dir eine!«, sagt Kevin mit seiner lahmen Stimme.
    Er hat das gesamte Mittagessen bisher damit verbracht, irgendeine Komposition aufs Blatt zu werfen. Ich nehme zumindest an, dass er das gemacht hat, obwohl es eher so aussah, als würde er versuchen, eine Verbinde-die-Punkte-Version eines Jackson-Pollock-Gemäldes zu erstellen.
    »Nein, damit hab ich gar kein Problem. Ich finde Computer nur stinklangweilig. Ich kapier nicht, warum sich überhaupt irgendwer
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