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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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wie sie beim Seifenblasen entstehen, sie befindet sich direkt unter der Erdkruste, man braucht nur ein Loch zu bohren, und schon entleert sie sich – oder zerplatzt. Dann wieder erstreckt das Gas sich über eine große Fläche. Unsichtbar vermischen sich die geruchlosen Gaspartikel mit der Erde. Man hält ein Streichholz dran, und eine Stichflamme entzündet innerhalb von Sekunden ein Gebiet von Hunderten Quadratkilometern. Unterirdisch. Die obere Erdschicht gibt nach, Brücken und Gebäude verlieren ihren Halt, ganze Städte versinken im brennenden Erdreich. All das stelle ich mir vor, wenn ich mit offenen Augen im Dunkeln liege. Manchmal spielt sich der Untergang unseres Landes in Gestalt eines Dokumentarfilms ab, à la National Geographic, mit Grafiken und Computeranimationen, die Art Dokumentarfilme, auf die sich der Fernsehsender so gut versteht: über Staudammkatastrophen und Tsunamis, Vulkanausbrüche und Schlammlawinen, die Dörfer unter sich begraben, über eine ganze vulkanische Bergwand, die sich von einer Insel löst, ins Meer rutscht und eine Flutwelle verursacht, die acht Stunden später und Tausende Kilometer weiter eine Höhe von zwölfhundert Metern erreicht. The Disappearance of a Country , morgen Abend 21:30   $1 Uhr auf diesem Kanal. Unser Land. Unser Land, das an seinen eigenen Bodenschätzen zugrunde geht.
    Ab und zu denke ich auch an Ralph Meier, wenn ich nicht schlafen kann. An seine Rolle als Kaiser Augustus in der gleichnamigen Fernsehserie zum Beispiel. Die Rolle ist ihm auf den Leib geschrieben, da sind sich Freund und Feind einig. Einmal natürlich wegen seiner Statur, des im Lauf der Jahreaufgebauten Körperumfangs. Eines Körperumfangs, wie man ihn nur mit systematischen Gelagen in Restaurants mit einem oder mehreren Michelin-Sternen erlangt. Mit üppigen Grillpartys im Garten seines Hauses: Würsten aus Deutschland, Schinken aus Bulgarien, ganzen Texel-Lämmern an sich drehenden Spießen. Ich erinnere mich an diese Partys, als sei es gestern gewesen: seine hünenhafte Gestalt hinter dem rauchenden Feuer, eigenhändig wendete er die Hamburger, Steaks und Hühnerschenkel. Sein unrasiertes, rot angelaufenes Gesicht, die Grillgabel in der einen, die Dose Jupiler in der anderen Hand. Seine Stimme, die wie immer weit über den Rasen trug. Eine Stimme wie ein Nebelhorn, an dem sich Tanker und Containerschiffe orientieren, wenn sie sich fernen Buchten und fremden Häfen nähern. Die letzte Grillparty ist noch gar nicht einmal so lange her, vielleicht fünf Monate. Damals war er schon krank, doch. Immer noch war er derjenige, der das Fleisch wendete, aber er hatte sich einen Gartenstuhl aus Plastik hingestellt, er musste sich dabei hinsetzen. Es ist immer wieder ein faszinierendes Schauspiel zu beobachten, wie eine Krankheit – eine Krankheit wie die seine – über den Körper eines Menschen herfällt. Wie sie ihn langsam auszehrt. Es ist ein Krieg. Der bösartigen Zellen gegen die gutartigen. Sie greifen den Körper erst über die Flanken an. Es sind Nadelstiche, die nur bezwecken, die Aufmerksamkeit von der Hauptstreitmacht abzulenken. Man wähnt sich schon als Sieger, doch der Feind hat sich tief im Körper versteckt, da, wo die Röntgenstrahlen, die Ultraschall- und MRT – Untersuchungen ihn nicht aufspüren können. Er wartet geduldig, bis die letzten Verstärkungen eingetroffen sind und ihm der Sieg nicht mehr zu nehmen ist.
    Gestern Abend wurde die dritte Folge ausgestrahlt. Gaius Octavius wird Kaiser Augustus, er konsolidiert seine Macht und setzt den Senat außer Gefecht. Es kommen noch zehn Folgen. Nie war die Rede davon, dass die Sendung wegen desTods des Hauptdarstellers abgesetzt oder verschoben werden sollte. Ralph Meier passt gut in die Rolle, er ist der einzige niederländische Schauspieler neben Italienern, Amerikanern und Engländern, er zieht alle Aufmerksamkeit auf sich.
    Ich habe die gestrige Sendung natürlich mit anderen Augen gesehen als die meisten anderen Zuschauer. Mit den Augen des Arztes.
    »Kann ich weitermachen?«, hatte er mich gefragt. »Es bedeutet zwei Monate Dreharbeit. Wenn ich auf der Hälfte aufhören muss, ist das für alle eine Katastrophe.«
    »Natürlich«, sagte ich. »Mach dir keine Sorgen. Meist ist es nichts. Wir warten einfach den Befund ab. Danach ist noch Zeit genug.«
    Kaiser Augustus hielt eine Rede vor dem Senat. Die amerikanisch-italienische Koproduktion hatte weder Kosten noch Mühen gescheut. Tausende römische Soldaten, ganze
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