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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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zwischen denen es immer zu warm ist und wo die Bakterien freies Spiel haben, die Pilze und Entzündungen zwischen den Zehen, unter den Nägeln, die Stellen, an denen sie sich kratzen, bis es zu bluten beginnt … Hier, Herr Doktor, hier juckt es am schlimmsten … Nein, danke! Ich tue so, als würde ich alles genau inspizieren, aber dabei denke ich an etwas anderes. An eine Achterbahn in einem Freizeitpark, auf den vordersten Wagen ist ein grüner Drachenkopf montiert, die Leute strecken die Arme in die Luft und schreien sich die Lunge aus dem Leib. Aus den Augenwinkeln sehe ich feuchte Büschel Schamhaar, entzündete rote, kahle Stellen, an denen nie mehr Haar wachsen wird, und ich denke an ein Flugzeug, das in der Luft explodiert, während die noch angeschnallten Passagiere in ihren Sitzen zu einem kilometerlangen Sturz ins Unendliche ansetzen. Es ist kalt, die Luft ist dünn, in der Tiefe wartet der Ozean. Beim Wasserlassen brennt es, Herr Doktor, als würde ich Nadeln pinkeln … Ein Zug geht in die Luft, bevor er den Bahnhof erreicht, das Spaceshuttle Columbia zerplatzt in tausend Stücke, das zweite Flugzeug bohrt sich in den South Tower. Hier brennt es, Herr Doktor. Hier …
    Sie können sich wieder anziehen, sage ich. Ich schreibe Ihnen etwas auf. Manche Patienten können ihre Enttäuschung nur schwer verbergen: ein Rezept? Eine Weile stehen sie reglos da, die Unterhose oder den Slip auf den Knien. Sie haben sich einen ganzen Vormittag freigenommen, sie wollen Wertarbeit für ihr Geld, auch wenn das von der Gemeinschaft der Gesunden berappt wird. Sie wollen, dass der Doktor sie zumindest befühlt, dass er sich die Gummihandschuhe anzieht und irgendetwas – ein Körperteil – zwischen die sachkundigen Finger nimmt. Dass er einen Finger irgendwo hineinsteckt. Sie wollen untersucht werden, sie begnügen sich nicht mit seiner jahrelangen Erfahrung, seinem klinischen Blick, der auf Anhieb registriert, was jemandem fehlt. Weil er es schon hunderttausend Mal gesehen hat. Weil seine Erfahrung ihm sagt, dass er nicht beim hunderttausendsten Mal plötzlich die Gummihandschuhe anzuziehen braucht.
    Manchmal ist es unvermeidlich. Manchmal muss man hinein. Meist mit einem oder zwei Fingern, gelegentlich mit der ganzen Hand. Ich ziehe die Gummihandschuhe an. Legen Sie sich bitte auf die Seite … Für den Patienten ist das der Wendepunkt. Endlich wird er ernst genommen, eine innere Untersuchung findet statt, aber jetzt ist sein Blick nicht mehr auf mich gerichtet, sondern nur noch auf meine Hände. Die Hände, die sich die Gummihandschuhe überstreifen. Er fragt sich, wie er es so weit hat kommen lassen. War es wirklich das, was er wollte? Bevor ich die Handschuhe anziehe, wasche ich mir die Hände. Da sich das Waschbecken gegenüber dem Behandlungstisch befindet, kehre ich dem Patienten dabei den Rücken zu. Ich lasse mir Zeit. Ich kremple die Ärmel hoch.Ich weiß, dass mich der Patient keine Sekunde aus den Augen lässt. Ich lasse das Wasser über die Handgelenke laufen. Sorgfältig wasche ich mir die Hände und dann die Unterarme bis zu den Ellenbogen. Durch das Geräusch des strömenden Wassers kann ich es nicht hören, aber ich weiß, dass sich der Atem des Patienten beschleunigt, wenn ich bei den Ellenbogen angelangt bin. Er beschleunigt sich oder er stockt. Eine innere Untersuchung wird stattfinden, bewusst oder unbewusst hat der Patient darauf gedrängt. Dieses Mal wollte er sich nicht mit einem Rezept abwimmeln lassen. Aber jetzt kommen ihm Zweifel. Warum wäscht und desinfiziert sich mein Hausarzt die Arme bis zu den Ellenbogen ? Etwas im Körper des Patienten zieht sich zusammen. Während er sich doch gerade entspannen sollte. Entspannung ist der Schlüssel zu einer schmerzlos verlaufenden inneren Untersuchung.
    Ich drehe mich um und trockne mir die Hände ab, die Unterarme, die Ellenbogen . Während ich ein in eine Plastikhülle verpacktes Paar Handschuhe aus einer Schublade nehme, sehe ich den Patienten immer noch nicht an. Ich reiße die Hülle auf und werfe sie in den Treteimer. Erst beim Anziehen der Handschuhe fixiere ich den Patienten. Sein Blick ist, wie soll ich sagen, anders als bevor ich mich umdrehte, vor dem Händewaschen. Legen Sie sich schon mal hin, sage ich, bevor er seine Bedenken in Worte fassen kann. Mit dem Gesicht zur Wand. Es ist weniger erniedrigend, wenn man nackt daliegt, als wenn einem die Hose und Unterhose noch auf den Knöcheln hängt. Man fühlt sich weniger hilflos. Die
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