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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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inzwischen schon wieder anderthalb Jahre her, dass Ralph Meier auf einmal in meinem Wartezimmer saß. Natürlich erkannte ich ihn sofort. Ob er rasch zwischendurch … es wäre nur eine Kleinigkeit. Er kam sofort zur Sache. Ob es wahr sei – er habe das von dem und dem gehört –, dass man von mir ziemlich leicht gewisse … er sah sich verstohlen um, als hätte er Angst, wir könnten abgehört werden. Derjenige, von dem er sprach, gehörte zu meinen festen Patienten, die den Mund nicht halten konnten, und so war auch Ralph Meier bei mir gelandet. Je nachdem, sagte ich. Ich muss Ihnen schon erst ein paar Fragen zu Ihrem Allgemeinbefinden stellen, damit wir nicht später eine Überraschung erleben. Aber dann?, fragte er drängend. Wenn alles in Ordnung ist, sind Sie dann auch wirklich bereit … Ich nickte. Ja, sagte ich. Das kann geregelt werden.
    Jetzt sind wir anderthalb Jahre weiter, und Ralph Meier ist tot. Und morgen früh muss ich vor der Ärztekammer erscheinen. Nicht wegen dem, was ich ihm damals beschafft habe, sondern wegen etwas anderem, was ein gutes halbes Jahr später passierte: wegen etwas, was man einen »ärztlichen Kunstfehler« nennen könnte. Was die Ärztekammer betrifft, mache ich mir nicht allzu viel Sorgen, wir Mediziner kennen einander alle, häufig haben wir zusammen studiert. Bei uns sind Zustände wie in Amerika undenkbar, wo ein Rechtsanwalt einen Arzt nach einer Fehldiagnose zugrunde richten kann. In unserem Land muss man es schon sehr bunt treiben. Und selbst dann. Eine Verwarnung, eine Arbeitssperre von ein paar Monaten, mehr hat man nicht zu befürchten.
    Das Einzige, worauf es mir ankommt, ist, dass die Kommission dabei bleibt, dass es sich um einen Behandlungsfehler handelt. Ich muss meine fünf Sinne zusammennehmen. Ichmuss selber zu hundert Prozent weiter daran glauben – an den Behandlungsfehler.
    Vor ein paar Tagen war die Beerdigung. Auf einem schönen, ländlichen Friedhof in einer Biegung des Flusses. Hohe, alte Bäume, die im Wind rauschten. Vögel zwitscherten. Ich hatte mich etwas abseits gestellt, das schien mir vernünftiger. Was dann passierte, traf mich völlig unvorbereitet.
    »Wie kannst du es wagen herzukommen!«
    Es trat völlige Stille ein, sogar der Wind schien sich zu legen. Auch die Vögel verstummten schlagartig.
    »Du Schwein. Wie kannst du es wagen?«
    Judith Meier hatte die Stimme einer geschulten Sängerin, die noch in den hintersten Reihen eines Konzertsaals gut zu hören ist. Alle Gesichter wandten sich mir zu. Sie stand an der geöffneten Hecktür des Bestattungswagens, wo sich die Totengräber gerade den Sarg mit der Leiche ihres Mannes auf die Schultern hoben.
    Sie bahnte sich einen Weg durch die dichte Schar der Trauergäste, die auseinanderwichen. Das Geräusch ihrer hohen Absätze auf dem Kies der Auffahrt war eine halbe Minute lang der einzige Laut in der atemlosen Stille.
    Direkt vor mir blieb sie stehen. Ich erwartete, sie würde mir mit der flachen Hand ins Gesicht schlagen. Oder mir mit den Fäusten auf die Brust trommeln. Kurz, sie würde mir eine Szene machen, denn darin war sie schon immer gut gewesen.
    Doch sie tat nichts dergleichen.
    Sie sah mich nur an. Ihre Augen waren rot unterlaufen.
    »Du Schwein«, sagte sie noch einmal, viel leiser diesmal.
    Dann spuckte sie mir ins Gesicht.

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2
    Der Hausarzt hat eine einfache Aufgabe. Er braucht keine Menschen zu heilen, er muss nur dafür sorgen, dass sie nicht massenhaft zu den Spezialisten und in die Krankenhäuser abwandern. Sein Sprechzimmer ist ein Vorposten. Je mehr Patienten er am Passieren hindert, desto besser versteht er sein Fach. Würden wir jeden, der mit einem Juckreiz, einem Hautflecken oder einem Hüsteln zu uns kommt, zum Facharzt oder ins Krankenhaus überweisen, würde das System kollabieren. Komplett. Man hat das mal für unser Land ausgerechnet. Wenn alle Hausärzte mehr als ein Drittel ihrer Patienten zur genaueren Untersuchung zum Spezialisten schickten, dann würde das System schon nach zwei Tagen in allen Fugen krachen. Nach einer Woche würde es zusammenbrechen. Der Hausarzt ist der Vorposten. Eine ganz normale Erkältung, sagt er. Kurieren Sie sich eine Woche aus, und wenn es dann noch nicht vorbei ist, kommen Sie ruhig noch mal wieder. Drei Tage später ist der Patient nachts in seinem eigenen Schleim erstickt. Das kann passieren, sagen wir. Ein seltenes Zusammentreffen mehrerer ungünstiger Faktoren, so was kommt höchstens in einem von zehntausend
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