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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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Fällen vor.
    Die Patienten nutzen ihre zahlenmäßige Überlegenheit schlecht. Nacheinander lassen sie sich ins Sprechzimmer rufen. Ich habe zwanzig Minuten Zeit, sie davon zu überzeugen, dass ihnen nichts fehlt. Bei einer Sprechstunde von halbneun bis eins macht das drei Patienten pro Stunde, zwölf bis dreizehn pro Tag. Vom System her gesehen bin ich der ideale Hausarzt. Die, die einem Patienten nur die Hälfte dieser Zeit widmen, kommen auf vierundzwanzig Patienten pro Tag. Bei ihnen ist das Risiko größer, dass ein paar die Absperrung durchbrechen. Es ist eine Sache des Gefühls. Ein Patient, dem man nur zehn Minuten sein Ohr leiht, fühlt sich eher abgewimmelt. Er hat den Eindruck, dass seine Beschwerden nicht ernst genommen werden, und drängt schneller auf eine eingehendere Untersuchung.
    Natürlich unterlaufen uns Fehler. Ohne Fehler könnte das System nicht funktionieren. Es ist sogar auf die Fehler angewiesen. Auch eine Fehldiagnose kann ja zum gewünschten Ergebnis führen. Doch oft ist sie gar nicht nötig. Die wichtigste Abwehrwaffe, die uns, den Hausärzten, zur Verfügung steht, ist die Warteliste. Meist genügt es schon, sie nur zu erwähnen. Für diese Untersuchung gibt es eine Warteliste, es kann ein halbes Jahr bis acht Monate dauern, sage ich. Durch diesen Eingriff könnte sich Ihr Zustand leicht verbessern, aber die Warteliste ist lang … Die Hälfte der Patienten winkt sofort ab. Ich sehe ihnen die Erleichterung an. Aufgeschoben ist aufgehoben, denken sie. Niemand kriegt gern eine Sonde mit dem Durchmesser eines Gartenschlauchs durch den Kehlkopf gedrückt. Es ist keine angenehme Untersuchung, sage ich. Sie könnten natürlich auch abwarten, ob es nicht mit einer Kombination von Ruhe und Medikamenten von selbst vorbeigeht. Dann sehen wir in einem halben Jahr weiter.
    Man könnte sich natürlich fragen, warum es in einem so reichen Land wie dem unseren überhaupt Wartelisten gibt. Ich muss dann immer an unsere großen Erdgasvorkommen denken. Gegenüber Kollegen habe ich das, als wir zusammensaßen, schon mal zur Sprache gebracht. Wie viel Kubikmeter Gas muss man wohl verkaufen, um innerhalb einer Woche die Warteliste für Hüftoperationen abzubauen, fragte ich sie.Es sei doch wirklich verrückt, dass bei uns Menschen sterben, bevor sie das richtige Ende der Warteliste erreicht haben? Das sei doch absurd, meinten die Kollegen. Ich könne doch nicht unsere Gasreserven der Zahl der aufgeschobenen Hüftoperationen gegenüberstellen.
    Unsere Erdgasreserven sind gewaltig, nach vorsichtigen Schätzungen reichen sie noch für die nächsten sechzig Jahre. Sechzig Jahre! Das ist mehr als die Ölreserven im Persischen Golf. Wir sind ein reiches Land. Wir sind genauso reich wie Saudi-Arabien, Kuwait, Katar – und doch sterben bei uns immer noch Menschen, weil sie zu lange auf eine Niere warten müssen. Säuglinge sterben, weil der Krankenwagen im Stau stecken bleibt, Frauen riskieren ihr Leben, weil wir, die Hausärzte, ihnen eingeredet haben, Hausgeburten seien sicher. Dabei sind sie nur billiger  – auch hier gilt, dass das System innerhalb einer Woche zusammenbrechen würde, wenn jede angehende Mutter ihr Kind im Krankenhaus zur Welt bringen wollte. Jetzt nimmt man einfach das Risiko in Kauf, dass Kinder bei der Geburt sterben oder Gehirnschäden davontragen, weil bei Hausgeburten kein Sauerstoff verabreicht werden kann. Ganz selten einmal erscheint darüber ein Artikel in einem medizinischen Fachblatt, noch seltener finden die Erkenntnisse den Weg in die Tageszeitungen: dass nämlich die Säuglingssterblichkeit in den Niederlanden die höchste von ganz Europa und dem Rest der westlichen Welt ist. Praktische Konsequenzen hat das bisher nicht gehabt.
    Der Hausarzt steht alldem machtlos gegenüber. Er kann den Leuten nur gut zureden. Er kann zumindest dafür sorgen, dass sie erst mal keine Spezialisten in Anspruch nehmen. Er kann einer Frau einreden, eine Hausgeburt sei völlig risikolos und dazu noch viel »natürlicher«. Dabei ist sie nur in dem Sinn natürlicher, wie auch Sterben natürlich ist. Wir können eine Salbe verschreiben oder Schlaftabletten, wir können Muttermale mit Säure wegbrennen, wir können eingewachsene Fußnägel losstemmen. Unangenehme Aufgaben oft. Entfernen Sie nur mal mit einem Topfkratzer die angebrannten Reste zwischen den Gasflammen des Herds!
    Manchmal kann ich nachts nicht schlafen. Dann denke ich an das Erdgas im Boden. Das eine Mal ähnelt es einer dieser Blasen,
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