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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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besockten und beschuhten Beine sind an den Knöcheln durch Hose und Unterhose aneinandergefesselt. Wie bei einem Sträfling in einer Chain Gang . Einer, dem die Hose auf den Knöcheln hängt, kann nicht weglaufen. Ihn kann man einer inneren Untersuchung unterziehen, man kann ihm auch mit der Faust mitten ins Gesicht schlagen. Oder man kann mit der Pistole in die Zimmerdecke schießen, bis das Magazin leer ist. Ich habemir verdammt noch mal lange genug all die Lügen angehört! Ich zähle bis drei: Eins … zwei … Versuchen Sie sich zu entspannen, sage ich noch einmal. Drehen Sie sich auf die Seite. Ich zupfe die Gummihandschuhe noch etwas fester um die Finger und über die Handgelenke. Das Geräusch des sich dehnenden Gummis erinnert mich immer an Luftballons. Luftballons für einen Geburtstag, die man nachts schon aufgeblasen hat, um das Geburtstagskind zu überraschen. Das kann sich jetzt kurz etwas unangenehm anfühlen, sage ich. Atmen Sie einfach ruhig weiter ein und aus. Der Patient ist sich meiner Anwesenheit direkt hinter seinem teilweise entblößten Körper nur allzu bewusst, aber er kann mich nicht mehr sehen. Das ist der Moment, in dem ich mir die Zeit nehme, diesen Körper, zumindest den entblößten Teil, etwas genauer zu betrachten.
    Bisher habe ich von einem Mann gesprochen. Im vorliegenden Beispiel liegt ein Mann mit heruntergezogener Hose und Unterhose auf dem Behandlungstisch. Frauen sind eine andere Geschichte. Auf sie komme ich gleich zu sprechen. Der Mann dreht den Kopf, kann mich aber, wie gesagt, nicht mehr richtig sehen. Lassen Sie doch ruhig den Kopf liegen, sage ich. Entspannen Sie sich. Außerhalb des Gesichtsfelds des Patienten richte ich meinen Blick auf den nackten unteren Teil seines Rückens. Ich habe dem Patienten gesagt, dass es sich kurz etwas unangenehm anfühlen könnte. Zwischen dieser Mitteilung und dem unangenehmen Gefühl selbst passiert nichts. Dies ist der leere Augenblick. Der leerste Augenblick der ganzen Untersuchung. Die Sekunden ticken unhörbar weg, wie bei einem Metronom mit abgeschaltetem Ton. Ein Metronom auf einem Klavier in einem Stummfilm. Ich habe den Mann noch nicht berührt. Oberhalb des nackten Hinterns ist der Abdruck der Unterhose sichtbar. Dünne rote Streifen, die das Gummiband auf der Haut zurückgelassen hat. Manchmal sind Pickel oder Muttermale da. Die Haut istblass, sie kommt zu wenig an die Sonne. Haare, je weiter nach unten, desto mehr. Ich bin Linkshänder. Die Rechte lege ich dem Patienten auf die Schulter. Durch den Gummihandschuh hindurch spüre ich, wie sein Körper erstarrt. Er verkrampft sich. Er möchte sich entspannen, doch der Instinkt ist stärker, er rebelliert, er lehnt sich gegen den bevorstehenden Angriff von außen auf.
    Und dann ist meine linke Hand da, wo sie hin soll. Der Mund des Patienten öffnet sich, seine Lippen weichen auseinander, ein tiefer Seufzer entringt sich ihm, als ich den Mittelfinger einführe. Ein Laut zwischen Seufzen und Stöhnen. Ganz ruhig, sage ich. Es ist gleich vorbei. Ich versuche, an nichts zu denken, aber das ist immer schwierig. Deshalb denke ich daran, wie ich einmal nachts auf einem matschigen Fußballplatz meinen Fahrradschlüssel verloren habe. Die Stelle, wo er liegen musste, war höchstens einen Quadratmeter groß. Tut es hier weh?, frage ich. Jetzt gesellt sich mein Zeigefinger zum Mittelfinger, gemeinsam finden wir den Schlüssel schneller. Ein bisschen? Wo genau? Hier? Oder hier? Ein paar Laternen brannten noch, damals am Fußballplatz, aber es war zu schummrig, um wirklich etwas sehen zu können. Es hat geregnet. Meist ist es die Prostata. Krebs oder nur einfach eine Vergrößerung. Bei einer ersten Untersuchung lässt sich noch wenig dazu sagen. Ich hätte zu Fuß nach Hause gehen und am nächsten Tag wiederkommen können, um bei Tageslicht zu suchen. Aber ich wühlte eh schon im Schlamm, da konnte ich genauso gut weitermachen. Au! Da, Doktor! Scheiße! Entschuldigen Sie … O, verdammt noch mal! Und dann kam dieser eine winzige Augenblick, meine Finger ertasteten etwas Hartes im nassen Brei. Vorsicht, es kann auch eine Glasscherbe sein … Ich halte es noch gegen das Licht, das spärliche Licht einer Laterne am Rand des Platzes, aber eigentlich bin ich mir sicher. Es glänzt, es blinkt, ich brauche nicht zu Fuß gehen. Ich ziehe die Handschuhe aus und werfe sie in den Treteimer.Sie können sich wieder anziehen. Es ist noch zu früh, irgendwelche Schlüsse zu ziehen, sage ich.
    Es ist
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