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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter
Autoren: Kristina Dunker
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musste ihr einfach helfen. Du hättest es auch getan, Annika! Ich hab gemacht, was sie wollte. Ihr geschworen, niemandem zu erzählen, dass sie wegwollte. Das hab ich auch gehalten, wie du weißt. Frag mich nicht, warum. Zuerst ihretwegen. Dann hab ich eine Zeit lang gedacht, na, mal gucken, wie weit Steffis Misstrauen geht . . . Und irgendwann, das muss ich dir ehrlich sagen, hab ich einfach Angst gehabt, euch die Wahrheit zu sagen. Ihr hättet mir ja nicht geglaubt. Ihr wart ja völlig von der Rolle. Ihr wart ja schlimmer als . . . als . . .«
    Rüdiger brauchte eine Weile, um sich wieder zu beruhigen und weiterzureden: »Vor dem Bahnhof haben wir uns getrennt. Vorher habe ich Ginie das ganze Geld gegeben, das ich dabeihatte. Ich hab sie gefragt, ob sie’s nicht unverantwortlich fände, einfach wegzulaufen. Wegen ihres Vaters vor allem. Ich habe mir ja gedacht, dass er sich Sorgen machen würde. Ginie ist voll fuchtig geworden: ›Das geschieht ihm recht. Er soll ruhig dasSchlimmste annehmen. Mit meiner Familie brauchst du kein Mitleid haben!‹ Rumgekeift hat sie. Meine Güte, war das ’ne Furie!«
    Ich horchte auf: Meine Familie. Die Leiche im Keller.
    »Hat sie sonst noch was gesagt, über ihren Vater, meine Eltern?«, fragte ich hastig.
    Rüdiger stutzte. »Nö. Weiß nicht. Vielleicht. Ich wollte sie irgendwann nur noch loswerden. Auf jeden Fall habe ich ihr das Versprechen abgenommen, dass sie deinen Onkel anruft. Das war sozusagen meine Bedingung. Sonst hätte ich ihr nicht geholfen. Wir haben Mitternacht ausgemacht. Wenn sie sich also an ihr Versprechen hält, ruft sie in zwanzig Minuten bei euch an.«
    »Na, hoffentlich!«
    »Ich zähle schon die Minuten bis dahin, das kannst du mir glauben! Und ich haue hier auch nicht eher ab, bevor sie sich nicht gemeldet hat. Ich habe keine Lust, den anderen zu begegnen. Steffi, dieser Schlange . . . Okay, ich war ja auch ganz schön blöd. Aber mir war nicht klar, dass ich ein Problem kriegen würde. Ich dachte einfach nicht daran, dass mich irgendjemand verdächtigen könnte. Und ihr schon gar nicht!«
    »Es tut mir leid, dass es so gelaufen ist.«
    »Pah!«
    »Hat Ginie gesagt, wohin sie fahren wollte?«
    »Ich schätze mal dahin, wo sie hergekommen ist. Erst mal bis Münster und dann umsteigen.«
    Ich nickte. »Und du meinst, es hat ihr hier einfach nicht gefallen?«
    »Annika, hast du mir nicht zugehört oder glaubst du mir nicht?« Rüdiger klang gereizt, er stand auf, trat mitdem Fuß gegen eine leere Farbspraydose. Staub wirbelte auf. Er legte sich wie ein Film auf meine Lungen. Ich hustete.
    »Du hast recht, das war nicht der einzige Grund. Irgendwas hat es mit meiner Familie zu tun. Meine Eltern wissen’s, aber sie rücken nicht raus mit der Sprache.«
    »Wie kommst du darauf?«
    Das Sprechen fiel mir schwer. »Von uns ist schon mal jemand da verschwunden«, sagte ich heiser und mehr zu mir selbst. »Und ich glaub, ich weiß auch, wer.« Hastig sprang ich auf. »Rüdiger, ich muss nach Hause!«
    »Sag bloß nicht, wo ich bin!« Er schnellte ebenfalls hoch, packte meinen Arm. »Mach, was du willst, interessiert mich alles nicht. Aber sag den anderen auf keinen Fall, dass ich hier bin. Und schick mir eine SMS auf mein Handy, wenn Ginie sich gemeldet hat.«
    »Okay!« Ich rannte hinaus, in die frische, kühle, sternklare Nacht. Mein Rad stand noch da. Der Mondschein ließ das Chrom aufblitzen. An das Sommergewitter erinnerten nur noch die abgerissenen Zweige auf der Erde.

Samstag, 0.15   Uhr
    Der Polizeiwagen war fort. Ich stellte mein Rad ab und zog den Haustürschlüssel aus der Hosentasche. Kaum hatte ich ihn ins Schloss gesteckt, da ging schon die Tür auf.
    »Wo warst du?« Meine Mutter stand vor mir. Sie musste wieder Nasenbluten gehabt haben, denn auch das hellblaue Shirt, das sie jetzt trug, hatte rote Flecken.
    Vielleicht war es besser, in dieser angespannten Atmosphäre erst mal so zu tun, als ob Jonas und Steffi bei meinem Gespräch mit Rüdiger dabei gewesen wären. Doch kaum hatte ich den ersten Satz gesprochen, unterbrach sie mich schon: »Lüg nicht! Du warst nicht mit Jonas weg! Er sitzt hinten auf der Terrasse, zündet Kerzen an wie auf’m Friedhof und hat keine Ahnung, wo du steckst!«
    Ihre Stimme hatte die anderen angelockt. Da standen sie:
    Jonas, mit traurigen Augen und Kerzenwachs an den Fingern; mein Vater, graugesichtig und zum ersten Mal seit Jahren wieder mit einer Zigarette in der Hand; und mein Onkel, dem die Erschöpfung ins
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