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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter
Autoren: Kristina Dunker
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Mund führte. Wahrscheinlich war es die Aufregung, erst diese Eile, dann, kurz vor dem Ziel, noch mal ein Hinauszögern. Und natürlich war es auch die Angst vor dem, was er Ginie nun gleich würde erzählen müssen.
    Sie stand vor dem Riesenrad. Zwei Betrunkene hatten sich zu ihr gestellt und wollten sie überreden, bei ihnen zu übernachten.
    Als sie uns sah, war sie mehr als erleichtert, sie lief uns entgegen, fiel uns in die Arme, weinte.
    »Gut, dass ihr endlich da seid!«, rief sie und wischte sich mit beiden Händen die Tränen aus dem Gesicht. Dann trat sie einen Schritt von ihrem Vater zurück. »Jetzt kann ich wirklich verstehen, dass man so eine Kirmes nicht ertragen kann, sie kann einem den Rest geben!«
    Mein Onkel zuckte zusammen und blickte zur Seite. »Soll das eine Anspielung sein?«, fragte er.
    »Kann sein«, sagte Ginie so schnippisch wie eh und je.
    »Hör mal, Ginie, weißt du eigentlich, was wir uns für Sorgen gemacht haben? Wir haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um dich wiederzufinden.«
    »Gut, dann weißt du mal, wie das ist, wenn man jemanden verliert.«
    »Das weiß ich auch so!«, brüllte mein Onkel so laut, dass einer der Betrunkenen herangeschlichen kam und sein Angebot an Ginie wiederholte: »Wie gesacht, kanns bei mir übernachten!«
    »Danke, nicht nötig.« Mein Onkel ergriff den Arm seiner Tochter. »Komm.«
    Ginie sträubte sich. »Sag mir erst, was damals passiert ist!«
    »Später.«
    »Jetzt!«
    »Ich will es auch wissen! Wir haben ein Anrecht darauf! Das ganze Theater heute wäre nicht passiert, wenn ihr ehrlich zu uns gewesen wärt. In meinem Leben ist auch eine Menge kaputtgegangen! Was ist denn dieses verdammte dunkle Geheimnis? Jetzt sag’s schon!«
    Ginie löste die Hand ihres Vaters von ihrem Arm, schmiegte sich an mich.
    Mein Onkel schüttelte unwirsch den Kopf. »Es gibt kein dunkles Geheimnis. Wer erzählt denn so ’nen Quatsch?!«
    »Es gab ein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung, angeblich hat sogar die Kripo ermittelt«, sagte Ginie und zitterte dabei so, dass ich mich sicherheitshalber bei ihr einhakte.
    »Das war ein Missverständnis!«, donnerte mein Onkel.
    »Haha, nett ausgedrückt! Echt super, Papa!« Ginies Stimme wurde schrill. Sie fuchtelte mit den Armen in der Luft, ein unkontrollierter Schlag traf ihren Vater vor den Brustkorb, ein anderer auf den Oberarm. Er wehrte ihre Fäuste ab, griff nach ihren Handgelenken, sie fing an zu treten.
    »Spinnst du? Sag mal, was glaubst du eigentlich?«
    »Dass du schuld bist an ihrem Tod, das glaube ich!«
    »Tickst du noch richtig?!« Jetzt war Paul wieder wild wie eh und je. Die wenigen Leute, die noch auf dem Kirmesplatz waren, schauten herüber.
    »Und ob! Rüdiger hat alles erzählt. Er kannte ihren Namen nicht, aber er wusste, wann und wie sie gestorben ist. Es war ein Leichtes für mich, eins und eins zusammenzuzählen. Oma hat ja auch immer so ihre Andeutungen gemacht! Ich hab schon lange geahnt, dass da was nicht stimmte, aber seit heute ist mir alles klar: Die auf mysteriöse Weise im Baggerloch ertrunkene Frau war meine Mutter! Du hast am Ufer gestanden und ihr nicht geholfen!«
    Mein Onkel schnappte nach Luft. »Das ist nicht wahr!«
    Ginies Geschrei hatte einen Haufen Betrunkener angelockt, die jetzt zielstrebig auf uns zukamen.
    »Lasst uns lieber zum Auto gehen!«, schlug ich vor.
    »Ja, bitte, Ginie . . .« Mein Onkel ergriff wieder ihre Hand. Diesmal ließ sie sich mitziehen.
    »Wisst ihr überhaupt, wie ich mich gefühlt habe, heute Nachmittag?«, sagte Ginie leise, als wir den Kirmesplatz verließen.
    »Weißt du, wie ich mich gefühlt habe?«, konterte ihrVater. »Wen habe ich denn noch außer dir? Glaubst du, ich habe deine Mutter nicht geliebt, nicht vermisst? Glaubst du, ich hätte mich vorhin so aufgeregt, wenn ich keine Angst um dich gehabt hätte, wenn du mir egal wärst?«
    Ginie schwieg.
    »Erzähl uns, wie es war«, bat ich und griff nach Ginies Hand.
    Mein Onkel seufzte. Er sah sich suchend um und zeigte auf eine Bank. Dorthin setzten wir uns. Ginie in der Mitte. In unserem Rücken eine mickrige Grünanlage, vor uns Asphalt, ein Parkplatz.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis mein Onkel zu reden begann. Zuvor blickte er einem Liebespärchen nach, das eng umschlungen an uns vorbeiging. Seufzte, rauchte, räusperte sich und zeigte auf eine Ratte, die am Rande des Parkplatzes entlanglief.
    Dann, endlich, ich hatte schon fast nicht mehr damit gerechnet, begann er zu
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