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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter
Autoren: Kristina Dunker
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sollen.«
    »Du konntest ja nicht auf alles achten, nicht alles wissen«, sagte ich.
    »Ich habe mir selbst genug Vorwürfe gemacht, wollte nicht darüber sprechen, schon gar nicht mit deinen Eltern, Annika, ich habe befürchtet, sie würden mir vorhalten, dass ich nicht auf sie gehört hatte. Zu Unrecht, muss ich sagen. Deine Eltern waren immer für mich da, das rechne ich ihnen hoch an.
    Die Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung wurde übrigens gleich wieder zurückgenommen. Ich wollte ihr ja helfen. Ich habe sie ja gesucht. Nur eben an der falschen Stelle. Bin genauso verrückt wie heute durch diesen Wald gerannt. Habe die Feuerwehr alarmiert, alles. Aber da war es zu spät.
    Das Ganze hat so hohe Wellen geschlagen, weil viele Leute am See waren. Und nicht ich war es, der sie nichtgesucht hat, sondern die anderen. Ich habe sie gebeten, mir zu helfen, aber die meisten waren zu betrunken und haben weitergefeiert. Die Anzeige richtete sich eigentlich gegen alle Anwesenden.«
    Eine ganze Weile blieben wir noch stumm auf der Bank sitzen. Dann erhoben wir uns und fuhren, Ginie und ich auf dem Rücksitz aneinandergelehnt, zurück.
     
    Als ich in mein Bett kam, war es fast drei. Schlafen konnte ich trotzdem nicht. Ginies Luftmatratze, die meine Eltern vormittags aufgepumpt hatten, war platt, und da wir zu müde waren, um sie noch einmal neu aufzupumpen, bot ich ihr kurzerhand an, mit in mein Bett zu kommen. Es war ja sowieso nicht mehr viel übrig von der Nacht.
    Aber dann nahm sie mir dort nicht nur den meisten Platz weg, sie wälzte sich auch so lange unruhig hin und her, bis die Amsel auf dem Baum vorm Haus schon wieder mit ihrem Morgengesang begann.
    Ich hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen gewesen zu sein, als meine Mutter die Tür öffnete und mit nervtötender Fröhlichkeit rief: »Frühstück! Aufstehen, meine süßen Mädchen!« Sie kam zu uns, küsste uns auf die Wangen, machte sogar ein Foto. »Es ist gleich zehn, wollt ihr den ganzen Tag verschlafen?«
    »Ja!«, knurrte ich und zog mir das Stück Bettdecke, das ich ergattern konnte, über die Ohren.
    »Ich auch!«, sagte Ginie und zog ihrerseits an der Decke.
    Meine Mutter lachte und ließ uns allein.
    Dann lag ich da und konnte doch nicht gleich wiedereinschlafen. Der gestrige Tag lief noch einmal vor mir ab, aber jetzt erlebte ich ihn so, wie Ginie ihn empfunden haben musste. Ich konnte ihre Panik nachvollziehen, als sie verstanden hatte, wer die ertrunkene Frau gewesen war und welche Vermutungen es über die Beteiligung ihres Vaters an ihrem Tod gegeben hatte. Ich floh in Gedanken mit ihr in den Wald, stellte mir vor, wie ich in dieser Situation reagiert hätte. Ich überlegte, ob ich nicht vielleicht auch einfach nur fortgewollt hätte, ohne Ziel, ohne Plan, ohne Rücksicht auf die Freunde, die sich Sorgen machen würden.
    Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fragte Ginie mit schlaftrunkener Stimme: »Annika, meinst du, die anderen verzeihen mir, dass ich ihnen so einen Schrecken eingejagt habe?«
    »Meine Mutter bestimmt. Sie ist einfach froh, dass du wieder da bist.« Ich gähnte. »Und mein Vater wird sich ihr anschließen.«
    »Immerhin hat mein Vater jetzt zum ersten Mal mit mir darüber gesprochen. Ich hätte ihn nie dazu gekriegt, wenn ich nicht weggelaufen wäre.«
    »Hmmm. Dann hatte das Ganze ja auch was Gutes.« Mir fielen die Augen wieder zu.
    »Und deine Freunde, Annika? Es tut mir leid, wenn ich deine Clique durcheinandergebracht habe.«
    Meine Stimme war nur noch ein Murmeln. »Ach, so ein reinigendes Gewitter war längst fällig.«
    »Meinst du, ihr vertragt euch wieder?«
    Ich antwortete nicht. Vielleicht wusste ich es nicht, vielleicht war es mir auch schon egal.
    Jetzt jedenfalls wollte ich endlich schlafen.

Samstag, 19   Uhr
    Ginie und ich lagen bis weit in den Nachmittag hinein in den Federn. Als wir schließlich aufstanden, hatten meine Eltern schon alles vorbereitet und organisiert: Gleich für diesen Abend hatten sie alle, die sich am vergangenen Tag an der Suche nach meiner Cousine beteiligt hatten, zu einem Grillfest eingeladen.
    In erster Linie wollten sie sich natürlich bei Rüdiger entschuldigen. Es war ihnen wichtig, dass das Zusammenleben mit der Nachbarschaft schnellstmöglich wieder so harmonisch wurde wie zuvor.
    Alle kamen. Auch Rüdiger erschien mit seiner ganzen Familie. Zur Begrüßung gab er uns förmlich die Hand, wie er es noch nie getan hatte. Und dann standen wir da, unter den bunten
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