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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter
Autoren: Kristina Dunker
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seine Ruhe? Das ist ja die Hölle!‹
    Ich war total verblüfft, wusste gar nicht, wie ich mich gegen ihren Wortschwall wehren sollte, und hab rumgestammelt wie ’n Idiot.
    Sie hat mir gar nicht zugehört. Hat sich in Rage geredet. Irgendwelches wirres Zeug, das ich nicht verstanden hab. Im Nachhinein bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob’s überhaupt was mit mir zu tun hatte. Aber in dem Moment hab ich’s natürlich auf mich bezogen. Ich habe versucht, ihr zu erklären, warum ich da gestanden habe. Sie hat mich ausgelacht. Ich kam mir nur blöd vor. Ich fühlte mich wieder wie der st-stotternde Junge, den Florian-Grobian zum Spaß in die Mülltonne stecken konnte.«
    »Und was hast du gemacht?«, flüsterte ich.
    »Was meinst du?«
    Ich schwieg. Das Weiß von Rüdigers Augen leuchtete in der Dunkelheit. Ich wusste nicht, wie spät es war, viel zu spät, Ginie war vielleicht tot und Rüdiger, der siezuletzt gesehen hatte, saß allein mit mir in einem dunklen Abbruchhaus.
    »Was meinst du?«, wiederholte er und schob sich näher an mich heran. »Sie hat mich er-erniedrigt, ich hab im Affekt gehandelt. Hab sie zum Sch-schweigen gebracht?«
    Ich drückte meinen Rücken an die Wand. Rüdiger rutschte noch näher. »Ich hab, ja genau, ich hab mein M-messer genommen und . . .« Er streckte seinen Zeigefinger aus, fuhr an meinem Hals entlang.
    »Hör auf mit dem Scheiß!«, rief ich und sprang auf. Meine Stimme klang wie ein Kreischen, mein Brustkorb hob und senkte sich.
    Rüdiger blieb auf dem Boden sitzen.
    »Nichts hab ich gemacht«, sagte er.
    Ich rang nach Luft.
    »Ich hab’s einfach ausgehalten, Annika. Irgendwann ging ihr Gelächter wieder in Schluchzen über. Sie hat geheult wie ein Schlosshund.«
    Rüdiger machte eine Pause, ich sammelte Spucke in meinem Mund. Jetzt hätte ich gerne etwas getrunken, wenigstens einen Schluck Wasser.
    »Ich war erleichtert, obwohl es für mich un-unmöglich war einzuschätzen, was in ihr vorging. Trotzdem bin ich auf sie zugegangen. Das war einfach ein Impuls: Jemand bricht zusammen, also gehst du hin und versuchst zu helfen, egal, wie schlecht es dir selbst geht. Ich bin also hin, hab mich neben sie gesetzt und den Arm um sie gelegt. Sie hat geheult und geheult. Ich dachte schon, die hört nie mehr auf. Dann aber sagt sie auf einmal zu mir, ich soll ihr helfen.«
    »Helfen? Wobei?«
    »Sie wollte weg.«
    »Weg? Warum denn?«
    »Das habe ich sie natürlich auch gefragt! Sie sagte, es sei ihr bei uns einfach unerträglich. Unser blödes Baggerloch, unsere spießige Clique, der ganze Familienscheiß.«
    »Na, klasse!«, rief ich lahm.
    »Ja, aber das war nicht alles. Das war irgendwie nur so vorgeschoben. Sie war völlig durchgeknallt. Wollte von mir wissen, wie das mit dieser ertrunkenen Frau genau war, wollte mein Messer haben, wollte Geld, wollte, dass ich sie mit dem Mofa zum Bahnhof fahre . . . Annika, deine Cousine tickt nicht richtig, die ist völlig durch den Wind!«
    »Das kann nicht sein! Sie machte doch einen ganz normalen Eindruck! Bisschen gelangweilt, bisschen zurückhaltend, aber . . .«
    »Zurückhaltend? Total fordernd war die! Angemacht hat sie mich, ist mir fast auf den Schoß gerutscht.
Ich
war das Opfer, sie hat
mich
bedrängt.«
    »Bitte?«
    »Ja, Annika!« Rüdigers Stimme wurde laut. »Es war genau umgekehrt! Sie hat sich mir an den Hals geworfen, hat gebettelt, gefleht, geweint. Sie hat mich ganz kirre gemacht damit! Hat gesagt: ›Bitte, bitte, Rüdiger, du musst mir helfen, ich kann hier nicht bleiben, ich muss hier weg!‹
    Wegen ihr hab ich mein Messer verloren! Sie wollte es unbedingt haben, und als ich ihr gesagt hab, dass sie’s nicht kriegt, hat sie’s vor lauter Wut gepackt und in den nächsten Baum geschleudert. Deine verrückte Cousinehat mich so fertiggemacht, dass ich’s da schlichtweg vergessen hab. Kannst du dir jetzt vielleicht vorstellen, wie durcheinander ich selber war? Es ist mir erst wieder eingefallen, als Jonas mich danach gefragt hat!«
    »Aber warum wollte sie denn weg?«
    »Ich hab keine Ahnung, aber ich war froh, als ich sie endlich los war, das kannst du mir glauben! Ich meine, sie hat mir auch leidgetan, so ist es ja nicht. Sonst hätte ich das ja nicht gemacht. Ich hätte ja auch sagen können: Mach doch deinen Mist alleine! Aber sie war so . . . so . . . ich weiß nicht, sie war so am Boden zerstört und gleichzeitig so voller Angst und Wut und . . . Ich hab zwischendurch gedacht, da ist der Teufel hinter ihr her! Ich
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