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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter
Autoren: Kristina Dunker
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ziemlich blöd . . .«
    Mein Vater warf mir einen warnenden Blick zu und ich brach ab. Klar, ich wollte ein bisschen vor Ginie angeben, aber musste er mich deshalb gleich so böse ansehen?! Sonst erlaubten sie doch auch, dass ich zum Baggersee fuhr. Was hatten sie denn auf einmal?
    »Also, wie auch immer, ich finde es eine tolle Idee, dass Annika und Ginie heute etwas zusammen unternehmen. Sie sollen ruhig zum See fahren«, sagte meine Mutter sehr langsam und legte einen Arm um ihren Bruder. In geschwollenem Tonfall fuhr sie fort: »Paul, ich bin überzeugt davon, dass es eine sehr gute Entscheidung von dir war, mit deiner Tochter wieder hierher zu ziehen. Und je eher sie sich hier einlebt, desto eher wirstdu sehen, dass es wirklich richtig war, nach diesen vielen Jahren des Vagabundenlebens endlich nach Hause zurückzukehren.«
    Ich fragte mich, ob Ginie die Entscheidung ihres Vaters auch so gut fand. Es sah ehrlich gesagt nicht ganz danach aus. Sie zog eine gezupfte Augenbraue hoch, nur die linke, in der ein silberner Piercingring mit einem rubinroten Steinchen steckte, musterte meine Mutter mit einem zweifelnden Blick, machte einen Schmollmund und sagte: »Na, hoffentlich finde ich die Entscheidung auch irgendwann mal gut! Im Moment weiß ich noch nicht, was ich hier soll.«
    »Ach, Ginie-Maus, wir haben doch oft genug darüber gesprochen!« Mein Onkel verzog das Gesicht und auch ich fühlte, wie meine gute Laune einen Dämpfer bekam. Außerdem kam meine Enttäuschung wieder hoch, dass Ginie den Willkommensbrief, den ich vor einigen Wochen geschickt hatte, nicht beantwortet hatte.
    »Lass mal, Paul, aller Anfang ist schwer. Aber Ginie, es wird dir bestimmt guttun, hier in einer richtigen Familie zu leben«, sagte meine Mutter und lächelte sie an.
    Meine Cousine rollte mit den Augen. »Ich steh nicht unbedingt auf Idylle.«
    »Tjaa . . .«, sagte meine Mutter und tauschte einen Blick mit ihrem Bruder, der nur die Achseln zuckte und meinen Vater anblickte. Aber auch der schien nicht vorzuhaben, auf Ginies Kommentar zu antworten, sondern beschäftigte sich damit, einen Marienkäfer, der auf sein Hemd geflogen war, vorsichtig auf ein abgepflücktes Blatt zu lotsen.
    »Und die Eltern guckten stumm auf dem ganzen Tisch herum«, murmelte ich, lachte über diesen alten Kinderreim und setzte mich dann demonstrativ neben Ginie.
    Eigentlich konnte ich es ganz gut nachvollziehen, dass Ginie so abweisend war: Sie hatte sich bestimmt nicht darum gerissen, schon wieder umzuziehen und Schule und Freunde zu wechseln. Und dann auch noch aufs Land zu Onkel und Tante. So wie ich Paul einschätzte, hatte er sie sicher nicht nach ihrer Meinung gefragt. Meine Eltern hatten oft angedeutet, dass Paul mit seiner Lebensweise wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse seiner Tochter nahm. Er hatte in den letzten Jahren als Journalist in verschiedenen Großstädten gewohnt, sodass Ginie kaum Gelegenheit gehabt hatte, sich irgendwo wirklich zu Hause zu fühlen. Zeitweise war er auch im Ausland gewesen und Ginie hatte ein Internat besucht.
    Wie das wohl gewesen war? Lustig und spannend wie eine lange Klassenfahrt? Wohl kaum, aber abwechslungsreicher als mein Leben bestimmt.
    Während die Erwachsenen mit nichtssagenden Bemerkungen wieder ein Gespräch in Gang brachten, betrachtete ich neugierig meine Cousine. Sie hatte von Natur aus die gleiche Haarfarbe wie ich, dunkelbraun, das wusste ich von früher. Doch im Gegensatz zu mir, die ich meine Haare stets ein bisschen blondierte, hatte sie ihre tiefschwarz gefärbt. Ihr Gesicht wirkte so für die Jahreszeit ein wenig blass, unter ihren wachen braunen Augen lagen dunkle Ringe und sie war so mager, dass ich mir neben ihr regelrecht rosig und pausbäckig vorkam.
    Auch sonst schienen wir auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben: Während ich ständig unsicher war und Angst hatte, unattraktiv zu wirken, strahlte Ginie Selbstbewusstsein aus; während ich beim Duft des Grillfleisches anfing, hungrig mit Messer und Gabel zu scharren, hatte sie als Vegetarierin dafür nur ihr Augenbrauenzucken übrig, und während ich mich mit den Erwachsenen unterhielt und mit ihnen über Erlebnisse aus ihrer und meiner Kindheit lachte, sagte sie die ganze Zeit gar nichts.
    Gut, ich konnte mich auch nicht mehr daran erinnern, wie mein Onkel mir als Zweijähriger eine Bademütze aufgesetzt hatte und ich wie am Spieß gebrüllt hatte, weil ich als Kleinkind Mützen hasste, oder dass ich Ginie in der Krabbelgruppe mal
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