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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter
Autoren: Kristina Dunker
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dort ziemlich viel Platz wegnahmen. Das konnte nur bedeuten, dass auch meine Eltern ein bisschen nervös waren, na wenigstens etwas.
    Ginie saß mit ihnen und meinem Onkel auf der Terrasse und trank Sekt. Bei der Hitze!
    »Hi«, sagte ich und hob schüchtern den Arm, um zu grüßen. Meinen Onkel Paul hatte ich häufiger mal gesehen, auch Ginies Gesicht war mir noch vertraut, obwohl ich bisher, wenn ich an sie gedacht hatte, immer noch ihre kindlichen Züge vor Augen hatte. Das runde Gesicht, die großen braunen Augen. Als Kinder hatten wir einmal lange miteinander gespielt, wir hatten uns verkleidet und geschminkt. Sie hatte eine Bärin oder einanderes wildes Tier sein wollen, daran erinnerte ich mich komischerweise und ertappte mich dabei, wie ich auf ihren Wangen nach Spuren des aufgemalten Fells suchte. Jetzt war sie natürlich sechzehn, so wie ich, unsere gemeinsamen Spiele waren eine Ewigkeit her.
    »Annika, setz dich doch zu uns!«, sagte mein Vater fröhlich.
    »Gleich.« Ich brauchte noch einen Moment.
    »Komm her«, forderte mich auch Ginie auf und winkte.
    Das war ein gutes Zeichen. Ich beruhigte mich.
    »Ich spring nur schnell unter die Dusche und zieh mich um, dann bin ich da!«, rief ich, lief die Treppen hinauf, befreite mich von meinen verschwitzten Klamotten, knüllte sie zusammen, warf sie in eine Ecke meines Zimmers, hüpfte ins Bad und begann unter dem kalten Wasserstrahl laut zu singen.
    In diesem Moment war ich erleichtert, glücklich. Ich war davon überzeugt, dass Ginie und ich uns schnell aneinander gewöhnen würden. Wahrscheinlich würden wir uns in ein paar Monaten fragen, ob sie nicht schon immer bei uns gewohnt hätte.
    Ich konnte ja nicht ahnen, dass meine Aufregung bald zurückkehren würde. Und zwar viel stärker als zuvor.
    Zunächst aber ließ sich alles gut an. Als ich meine nur notdürftig getrockneten Haare mit Festiger vor dem Spiegel verstrubbelte, kam ich mir schon nicht mehr ganz so landeimäßig vor, und als ich barfuß und in bequemen abgeschnittenen Jeans die Treppen hinuntersprang, klingelte passenderweise das Telefon und Jonasfragte, ob ich am Nachmittag mit der Clique zum Baggersee käme.
    »Ja, gerne, und ich frag meine Cousine, ob sie auch mitkommt!« Ich flitzte auf die Terrasse, auf der meine Familie mittlerweile den Grill angezündet und den Tisch gedeckt hatte: Kartoffelsalat, Bauernsalat, Brötchen   – mir lief das Wasser im Mund zusammen. Fröhlich und ohne große Einleitung fragte ich Ginie: »Hast du Lust, nach dem Essen mit mir und meinen Freunden zum Baggersee zu fahren?«
    Ich dachte, das wäre ein prima Start: frisch, gut gelaunt, locker. Ich dachte, der erste Eindruck, den Ginie von mir haben wird, zählt, und der ist perfekt gelungen. Ich dachte, ich hätte die Idee des Jahrhunderts gehabt.
    Wie sollte ich ahnen, was mein Vorschlag auslösen würde?
    Meine Mutter riss die Augen auf und warf einen ängstlichen Blick auf meinen Onkel. Der machte ein Gesicht, als hätte ich ihm gerade verkündet, ich wolle Ginie mit zum S-Bahn -Surfen nehmen. Mein Vater räusperte sich und setzte an, um etwas zu sagen: »Annika, vielleicht kannst du heute mal ausnahmsweise nicht . . .« Ich hörte nicht hin. Was interessierten mich die Erwachsenen? Ginie war wichtig. Und die guckte unentschlossen, aber nicht ablehnend.
    »Ich habe doch heute noch keine Schwimmsachen dabei«, sagte sie.
    »Kein Problem, du kannst einen Bikini von mir oder meiner Mutter haben! Und Handtücher sowieso!«
    »Ja gut, dann . . . von mir aus . . .« Sie zuckte die Achseln.
    »Das ist vielleicht doch keine so schlechte Idee von Annika«, sagte mein Vater laut und blickte seinen Schwager fest an. »Ginie kann Leute kennenlernen und wir können uns in Ruhe ein bisschen unterhalten.«
    »Mein Gott, müssen sie denn gleich an den Baggersee fahren? Können sie nicht einfach ein Eis essen gehen?« Mein Onkel schien sehr besorgt um seine Ginie zu sein.
    Das spornte mich erst recht an. Dass ich ein braves Mädchen war, würde Ginie noch früh genug bemerken. Sollte sie jetzt ruhig erst mal den Eindruck bekommen, ich sei mutig und verwegen genug, in einem See zu baden, in dem es nicht offiziell erlaubt war.
    »Och, da, wo wir immer baden, ist es nicht weiter gefährlich«, sagte ich. »Da stehen zwar immer noch die rostigen alten Warnschilder von wegen Kiesabbau, Spülsand, Strömungen, Lebensgefahr und so, aber da wird nicht mehr gearbeitet, da kann heute nichts mehr passieren! Da müsste man sich schon
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