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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen
Autoren: Susanne Leinemann
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keine Frau. Eine ungepflegte Frau«, korrigierte der Erste.
    Steffen Heinlein konnte sich nicht mehr beruhigen. »Soll das heißen, ich bin ungepflegt? Ich? Ich dusche jeden Tag. Benutze immer ein Aftershave. Muss ich mich etwa noch unter den Achseln rasieren wie Steffi?« Steffi musste seine Frau sein. Steffen und Steffi, das hatte sicherlich eine klingende Hochzeitseinladung ergeben.
    »Achselhaare. Wie ekelhaft!!«, erschien hinter ihm auf der Wand. Und drei traurige Smileys.
    »Das will doch kein Mensch hören.«
    »Der Typ gehört hier nicht hin. Der soll zurück in seine Höhle kriechen.«
    Besorgt sah Sophie zu Heinlein, fragte mit einer diskreten Geste, ob sie die Runde vorzeitig beenden sollte. Aber er machte abwehrende Zeichen. »Nein, nein«, murmelte er, »ich halte durch.« Doch langsam schien ihm zu dämmern, wer als Zuhörer vor ihm saß: seine allerschärfsten Konkurrenten. Mit seiner Luger-Aktion hatte er alle im Raum gedemütigt, nun zahlten sie es ihm heim. Er versuchte einen neuen Anlauf, aber die Konzentration war weg.
    »Also, wie ich eben schon sagte, ein Mann und sein Duschgel, nein, Verzeihung … sein kölnisch Wasser …«, stotterte er. Im Gesicht erschienen hektische Flecken, immer wieder drehte er sich zur Wand um, ob ein neuer Kommentar erschienen war. Tatsächlich ließ der nächste nicht lange auf sich warten.
    »Der Typ ist ja völlig verwirrt«, stand da mit einem Smiley dahinter.
    »Du bist nicht chillig, Heinlein«, folgte dann.
    »Da ist ja meine Multi-Funktions-Augenkonturpflege effektiver als der. Übrigens: nur für Hommes.«
    »Hommes – das versteht er nicht«, kam jetzt.
    »Ist ja Französisch.«
    »Französisch kann er nicht. Findet er nicht männlich.«
    »Aber Steffi kann französisch«, bemerkte jemand.
    »Dann stört die Gurkenmaske auch nicht.«
    Sophie ging mit schnellen Schritten nach vorne in Richtung Beamer. Das hier ging zu weit. Auf der Höhe von Heinlein blieb sie stehen, fasste tröstend seine Schulter.
    »Blutgrätsche«, sagte er leise.
    »Wie bitte?«, fragte Sophie, und obwohl sie ihn nicht mochte, tat er ihr plötzlich leid.
    »Das geht hier gegen den Mann, nicht gegen den Ball.« Steffen Heinlein schaute sie mit großen, erschrockenen Augen hilflos an. Nichts war mehr von dem provozierenden Großkotz geblieben, der er wenige Minuten zuvor noch gewesen war. Sophie roch jetzt seinen Stressschweiß.
    »Setzen Sie sich erst mal«, sagte sie sanft und griff nach einem der weißen Designerstühle. Erschöpft ließ Heinlein sich fallen. Sophie ging davon aus, dass das Twittern nun aufhörte. Aber als sie auf die Wand blickte, war der Strom der Kommentare nicht abgerissen.
    »Jetzt braucht er ein Turbo-Deo-EXTREME. Man sieht Flecken unter den Achseln.«
    »Oder er nimmt endlich den Rasierer.« Smiley, Smiley.
    »Weint er?«
    Keiner im Raum schaute hoch, alle tippten stumm und eifrig in ihre iPads. Ein Kommentar jagte den nächsten.
    »Nein, das ist nur ein Schweißbächlein.«
    »Jetzt sackt er in sich zusammen.«
    »Ruft 110 – der Mann steht ja kurz vorm Herzinfarkt.«
    »Tja, fair kommt nicht weit!«
    »Geigen! Dramatische Musik!!! Hollywood in Berlin.«
    Sophie schaute fassungslos in die Runde, niemand beachtete sie. Die Meute hörte einfach nicht auf zu hetzen, wie Bluthunde waren sie hinter Heinlein her. Endlich fing sie einen Blick auf, es war Paul Grotemeyer, zumindest er twitterte nicht mehr. Sein Blick war genauso empört wie ihrer. Wie gut das tat. Nein, sie war nicht zu sensibel, zu weich – das hier ging wirklich zu weit. Steffen Heinlein saß zusammengesunken vorne auf dem Stuhl.
    »Schlicht zu alt! Der ist doch schon über fünfundvierzig.«
    »LOSER!!!!« Krawallsmiley, Krawallsmiley.
    Da zog Sophie den Beamerstecker aus der Steckdose, und sofort verschwanden die wüsten Schmähungen von der Wand.
    »Es reicht«, sagte sie scharf. »Wir sind hier nicht auf dem Schulhof. Sie müssen Ihre Konkurrenten nicht mit Samthandschuhen anfassen, das ist klar. Schließlich ist dies ein Wettbewerb. Aber wenn einer am Boden liegt, tritt man nicht mehr nach. Wir machen jetzt zwanzig Minuten Pause. Ich hoffe, Sie verhalten sich beim nächsten Kandidaten professioneller.«
    Das saß. Das Wort »professionell« ließ sie alle strammstehen. Sie mochten eine herzlose Meute sein, die schamlos auf einem herumtrampelte, der längst am Ende war. Da kannten sie keine Hemmungen. Aber wenn sie nicht richtig funktionierten, wenn sie in ihrem Job unprofessionell waren,
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