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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen
Autoren: Susanne Leinemann
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bei der Präsentation eine gute Figur machte, nahm zu. Und leider neigten viele Verantwortliche im Assessment-Center dazu, so ein asoziales Verhalten als Durchsetzungsfähigkeit und Stärke zu belohnen. Dabei waren das nur Psychopathen. Brauchte die Top-Etage der deutschen Wirtschaft Psychopathen in ihren Vorstandsreihen? Kerle, die nur an ihren eigenen Vorteil dachten, daran, wie sie selbst bei einer Insolvenz noch fett absahnen konnten? Nein, fand Sophie. Aber sie stand mit ihrer Meinung ziemlich allein da.
    Sie schielte zu Grotemeyer. Für sie war er der wahre Gewinner dieser Runde. Einer, der sich selbst retten wollte, aber nicht die Nerven verlor und versuchte, auch anderen zu helfen. Einer, der an die Gruppe dachte, der menschlich blieb. Das gefiel ihr. Wie locker er da saß, als hätte er nichts zu verlieren. Keine Angst vor Höhe? Bestimmt kletterte er. Seine Hände verrieten ihn. Schwielen an den Fingerspitzen, die bekamen nur Gitarristen oder Freeclimber. Außerdem tarnte ihn sein Anzug kaum. Man sah ihm irgendwie an, dass er ein lässiger Jeans-T-Shirt-Typ war. Obwohl die Krawatte ordentlich saß, schien sie doch nur darauf zu warten, dass er mit seinen kräftigen Fingern den Knoten lockerte, sie danach mit einem Ruck über den Kopf zog und in den Tiefen einer Schublade verschwinden ließ. Alles an ihm wirkte energisch.
    Unauffällig scrollte sie durch Grotemeyers Lebenslauf. Er kam aus Berlin, arbeitete in der Geschäftsführung eines IT-Unternehmens, hatte Jura studiert.
    Wie Johann, kam ihr plötzlich in den Sinn. Was er wohl gerade machte? Er war auf Geschäftsreise in Wien. Seit Tagen war die gemeinsame Wohnung leer, wenn Sophie abends nach Hause kam, wartete nur der Handstaubsauger auf sie – ein Ding, das ein bisschen aussah wie ein Haustier, wenn es geduckt in der Ecke stand. Johann reiste viel, er verkaufte gebrauchte deutsche Fabrikmaschinen in alle Welt. Die Maschinenparks insolventer Mittelstandsunternehmen aus dem Ländle beispielsweise. Sie gingen nach Indien, China, in den arabischen Raum. Im Moment lief es unglaublich gut für ihn. Jedes Mal, wenn Sophie die monatlichen Briefe des Vermögensberaters öffnete, konnte sie kaum glauben, welche Summen dort standen. Sie würde bald einen reichen Mann heiraten, wann auch immer das war. Wenn sie beide endlich Zeit für die Hochzeit fanden.
    Es war Stille im Raum eingetreten, alle starrten Sophie an. Sie leitete diese Assessment-Runde, sie musste sagen, wie es weiterging. Erschrocken merkte Sophie, dass sie in Gedanken abgeschweift war. In der Assessment-Auswahl ging es auch darum, immer die Spannung zu halten. Die Kandidaten mussten unter Druck zeigen, was in ihnen steckte. Hielten sie den Stress aus? Brachen sie zusammen? Eine sinnierende Psychologin, die einen hübschen männlichen Kandidaten beäugte und sich dabei zu ihrem Dauerverlobten träumte, gehörte nicht zum Programm.
    »Spontanvortrag«, sagte Sophie eilig. Eigentlich wäre der jetzt noch nicht dran gewesen, aber das Wort »spontan« verleitete sie.
    »Fangen wir doch mit Herrn Heinlein an. Dem Gewinner des Tages«, sagte Sophie mit unüberhörbarer Ironie in der Stimme, während sie die iPads verteilte. »Ihr Thema, Herr Heinlein, lautet, passend zu der Stelle, die hier besetzt werden soll: Männerpflege als neuer Markt oder die Kunst, Kerlen Kosmetik zu verkaufen. Der Vortrag sollte rund fünf Minuten dauern.«
    »Für das Thema brauche ich keine fünf Minuten«, unterbrach Steffen Heinlein sie laut, »da ist doch schnell alles gesagt: ein Mann und sein Duschgel.«
    »Wenn man Glück hat, benutzt er Duschgel«, warf sein Nebenmann, der Jüngste, ein. Beide lachten und klatschten sich ab. So schnell war die Sache mit der Waffe vergessen. Eine Zote, und schon waren die Herren im Raum wieder beste Kumpels. Die beiden Frauen dagegen sahen nicht so aus, als würde Heinlein bei ihnen jemals wieder Land gewinnen. Mit solchen Scherzen gewiss nicht. Sie schauten gequält drein.
    »Unsere Spontanvorträge laufen allerdings etwas anders ab als bei normalen Assessment-Centern. Ich habe es gestern ja schon einmal kurz angedeutet. Die …«, setzte Sophie nun neu an, ohne sich von der Kumpanei vor ihren Augen irritieren zu lassen. Der Jüngste giggelte noch immer. Heinlein unterbrach sie noch einmal.
    »Frau Kaltenbrunn, nun belehren Sie uns mal nicht. Normalerweise schicken wir als Chefs die Bewerber ins Assessment-Center. Und der Spontanvortrag, das ist nun wirklich ein Dauerbrenner. Um nicht
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