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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen
Autoren: Susanne Leinemann
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zu sagen: ein alter Hut.«
    Grinsend schaute Steffen Heinlein in die Runde, versuchte Beifall von seinen Mitbewerbern einzuheimsen. Doch die hielten sich zurück. Mit der Assessment-Leitung wollte sich niemand anlegen. Steffen Heinlein merkte sofort, wie die Stimmung umschlug. Zum ersten Mal wirkte er ein wenig unsicher. Er fuhr sich mit der Hand durch die schon lichten Haare.
    »Also gut, wenn keiner protestiert, können wir ja loslegen. Hat jeder ein iPad vor sich liegen? Ja? Dann fahren Sie das Gerät jetzt hoch. Ich höre, das klappt. Sie werden sicher schnell begreifen, worin der besondere Reiz unseres Spontanvortrags liegt. Bislang haben alle Gruppen das prompt kapiert.«
    Mit einer Fernbedienung schloss sie nun die Lamellen, die vor der Fensterfront hingen, das Panorama von Berlin verschwand. Was blieb, war der teuer eingerichtete Raum. »Top-Leute für die Wirtschaft kann man nicht in Räumen finden, die daherkommen wie eine evangelische Akademie. Ich dulde kein PVC, kein billiges Furnier, keine Lampen aus einem schwedischen Einrichtungshaus«, lautete das Motto ihrer Chefin. Die Strategie zahlte sich aus, das Assessment-Center lief prächtig. Die Nummer eins der Hauptstadt. Die Kundenliste las sich wie ein Who is Who der internationalen Konzernwirtschaft.
    »So, und jetzt klicken Sie bitte alle unseren Intranet-Button an und gehen dann auf die interne Twitter-Funktion. Sind alle so weit? Dann schalte ich jetzt den Beamer für die Twitterwall ein. Ich wiederhole: Alle Kommentare bleiben anonym, wir können sie auch später nicht mehr zuordnen. Allerdings sehen wir vom Assessment-Team, wie häufig Sie den Spontanvortrag von Herrn Heinlein kommentiert haben. Natürlich bitte ich um eine rege Teilnahme, ein richtiges Twittergewitter. Also bitte, Herr Heinlein …«
    »Feuer frei!«, fiel ihr Heinlein nun hastig ins Wort. Sollte jemand im Raum die Geschichte mit der Luger schon vergessen haben, nun war sie wieder allen in Erinnerung. Heinlein stand auf und preschte nach vorne. Er war kein sehr großer Mann, kräftig, mit einem kleinen Bauchansatz, der graue Anzug spannte trotzdem nicht. Die Haare waren kurz, mit ein bisschen Gel versuchte er die kahleren Stellen zu überspielen. Vor fünfzehn Jahren trug er bestimmt noch Schnurrbart und eine Motivkrawatte mit Pandabären, die ihm seine Ehefrau zu Weihnachten geschenkt hatte. Verheiratet war er, Heinleins gold-silberner Ehering spannte auf dem Finger. Er stellte sich nun hinter das Stehpult und zupfte noch einmal kurz an seinem Jackett herum, das offensichtlich doch ein wenig unter den Armen kniff. Dann begann er.
    »Wir Männer sind anders. Wir brauchen keine Pflegeprodukte. Keine Foundation, keine Peeling-Maske, Serum mit Dreifach-Wirkung und Concealer mit Airbrush-Technologie. Nein, alles, was wir Männer brauchen, ist ein Basiscamp der Pflege: Seife und Duschgel, Deo, Rasierschaum und Aftershave. Das reicht uns.«
    »Und was ist mit meinem neuen X-Power-Energy Augen-Roll-on? Ohne den gehe ich nicht aus dem Haus!«, erschien jetzt hinter Heinlein in großen Lettern an der Wand. Hoch lebe der Beamer, dachte Sophie. Der verschaffte dem Twitter-Gezischel einen ganz großen Auftritt.
    »X-Power Energy. Klingt ja wie eine Benzinsorte«, folgte nun der nächste Eintrag.
    »Damit sehe ich frisch aus«, twitterte der Erste anonym.
    Heinlein nahm den Ball sofort auf. Alle Achtung, dachte Sophie, er reagiert auf die digitalen Zwischenrufe seiner Zuhörer. Ob es ihr nun gefiel oder nicht, das war ein Pluspunkt.
    »Frisch«, rief er vorne aus und riss begeistert die Arme hoch, »das ist mein Stichwort: Der Mann sieht nicht gepflegt aus, er sieht frisch aus. Und fit. Von mir aus auch kraftvoll. Aber nicht gepflegt – das klingt wie vom anderen Ufer.«
    »Vom anderen Ufer???«, erschien nun groß an der Wand. Klar, dass das Reaktionen hervorrief.
    »Er meint damit schwul«, ergänzte jemand.
    »H-O-M-O-S-E-X-U-E-L-L.«
    »In der Provinz hat man noch Angst, das Wort auszusprechen.«
    »Freunde«, sagte Heinlein nun hastig, »falls hier im Raum jemand eine andere Orientierung hat, den will ich natürlich nicht beleidigen. Ob Männlein mit Weiblein oder Männlein mit Männlein, das geht mich nix an.«
    »Und Weiblein mit Weiblein?«, tauchte nun auf.
    Heinlein bekam große Augen. Er gluckste leicht und schüttelte die rechte Hand, als hätte er sich verbrannt. »Oh ja, hier in Berlin kriegt man ja einiges zu sehen. Mein Hotel liegt in Schöneberg, und …« Sophie schaute ihn
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