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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen
Autoren: Susanne Leinemann
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Männern schon mal ins Klo gegriffen«, sagte sie auf ihre direkte Art.
    »Aber du hast dich ja geschmacklich weiterentwickelt …«, besänftigte Zoe mit Blick auf Paul.
    In dem Moment öffnete sich die Tür des Hotels, und Laura rannte heraus und lief mit ihrem wehenden weißen Kleid über die Wiese. Es war ein vertrauter Anblick. Nur hatte diesmal kein Gong geschlagen.
    Philipp sah sie, stand auf, und plötzlich lagen sie sich in den Armen. Laura weinte hemmungslos, auch Philipp stand das Wasser in den Augen. Dann umarmten die anderen sie auch, und alle standen umeinander und versuchten, sich gegenseitig zu trösten.
    Sophie löste sich als Erste. »Und jetzt?«, fragte sie und war glücklich, dass Paul weiterhin ihre Hand hielt. Er war da. Er ließ sie nicht los.
    Philipp räusperte sich. »Ich kenne einen netten Biergarten, drei Dörfer weiter. Auf den Schreck brauche ich erst mal einen Frühschoppen. Das Hotel ist für mich verloren, das ist klar. Zoe, du bist doch Anwältin. Hilfst du mir? Sie sollen es so teuer wie möglich kriegen.«
    Er blickte zurück, schaute auf die drei kleinen Kirchen und sagte leise: »Schade. Ich mag kein guter Hotelier gewesen sein. Aber ein guter Gralshüter war ich schon …«
    Da griff Paul in seine Tasche, holte eine kleine silberne Kröte heraus und gab sie Philipp.
    »Die Nacht im Krötenraum hat mein Leben verändert, da wollte ich ein kleines Andenken mitnehmen. Jetzt ist es Teil einer Konkursmasse geworden. Nimm du die Kröte, es ist ein Anfang – sie steht für das, was eines Tages kommen wird. Du wirst etwas Neues finden.«
    Philipp schaute unsicher. »Aber dann hat sich ja etwas verändert im Krötenraum, eine fehlt. Kann ich das denn …?«
    »Keine Sorge«, sagte Sophie, »er kann die kleine Kröte ja nachgießen lassen. In Cromargan.«
    Da begann Philipp zu lachen, so befreit, wie Sophie ihn noch nie hatte lachen hören.
    »Dann schnell weg hier«, sagte Philipp. »Bevor ich noch irgendetwas unterschreiben muss. Eine Verzichtserklärung oder so etwas.«
    Sie rannten alle los. Liefen am Hotel vorbei, den Weg hinunter, über die Brücke am Wasserfall, ließen die Telefonwiese und die blökenden Schafe hinter sich, rannten, bis sie den Wald erreichten. Erst dann schlugen sie ein gemächlicheres Tempo an. Sie wussten, jetzt hatten sie Zeit. Das Leben würde nie wieder so werden wie zuvor. Sie hatten alles verloren und alles gewonnen.

Einige Zeit später
    Am schönsten war die Zeit, wenn die letzte Gondel die Bergstation verlassen hatte und zu Tal fuhr. Dann waren die Tagesgäste weg, und sie hatten die Dolomiten ganz für sich allein. Sophie setzte sich mit einer Tasse Tee auf die Terrasse und genoss die Stille. Genau hier hatte sie vor drei Sommern schon einmal gesessen, damals, beim Ausflug mit Julia, Katalin und Zoe. Wie verloren sie damals gewesen war, wie verzweifelt.
    Paul war losgezogen. Er war unterwegs zum Klettern, das tat er oft in den Abendstunden, es blieb ja im Sommer lange hell. Bis vor wenigen Wochen war sie noch mitgegangen, das tägliche Training hatte sich ausgezahlt, sie kletterte bald besser als je zuvor. Aber im Moment ging es eben nicht. Bald merkte sie, wie gut ihr die Atempause tat. Jetzt im Hochsommer war tagsüber auf der Berghütte viel los. Sophie liebte ihr neues Leben, es war so völlig anders als das alte. Es machte ihr Spaß, eine gute Gastgeberin zu sein, Menschen kennenzulernen, sie zu bedienen und sich mit ihnen zu unterhalten. Als das alte Pächterpaar sich zurückgezogen hatte, hatte Philipp ihnen beiden die Hütte sofort angeboten. Der Abschied von Berlin war Sophie wie auch Paul erstaunlich leichtgefallen. Und sogar eine richtige Attraktion hatten sie hier oben eingerichtet: den höchsten Bonsai-Garten Europas. Erwin, Edgar, Eno, Emil und Enrique hatten die Verpflanzung gut überstanden, nur Egon, der rotblättrige Fächerahorn, war mit dem Höhenklima nicht gut zurechtgekommen. Er ging ein.
    Sophie nahm die Post zur Hand, die Julia, Katalin und Zoe ihnen heute heraufgebracht hatten. Die drei machten ab und zu noch in Marienbrunn Urlaub – ein Trip, der zwischen Nostalgie und Wehmut changierte. »Klinisch« sei es dort geworden, erzählten sie. »Völlig steril.« Das Neueste sei ein virtueller Rundgang durch den Krötenraum im Netz, ein Angebot auf der Hotel-Homepage. Der Krötenraum hatte kurz mediales Aufsehen erregt, nun dämmerte er unverändert hinter einer Glasscheibe vor sich hin. Es kam nichts mehr hinzu, weder Bilder
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