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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen
Autoren: Susanne Leinemann
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ohne Anzug noch besser aus. Sie roch seinen herben, frischen Duft, der ihr von Anfang an gefallen hatte. Paul betrachtete sie genauso neugierig wie sie ihn, es war ein zweites Kennenlernen, ohne Worte. Sie hielten sich an den Händen, mehr nicht. Als wüssten sie beide, dass ihnen noch viel, viel Zeit bliebe. Sie hatten sich füreinander entschieden, ohne es aussprechen zu müssen. Sophie war sich sicher, sie täuschte sich nicht. Also schlief sie beruhigt wieder ein.
    Als sie aufwachte, hatte es aufgehört zu regnen. Das Seelenloch war nun pechschwarz und führte ins Nirgendwo.
    »Hast du Hunger?«, fragte Paul, der offenbar nie schlief. Sophie nickte.
    Beim Essen betrachtete sie Paul verstohlen. Er hatte blaugraue Augen. Die Husky-Augen. Seine Haare waren dunkelblond, und da er sie etwas länger trug, sah man, dass er ganz leichte Locken hatte. Ihre Locken, seine Locken, was würde das nur für Superdoodles geben, wenn …
    Schluss!
    Das ewige Thema war wieder da. Es grätschte ihr ständig in ihre Gedanken. Sie fühlte sich wie besessen davon. Sollte sie mit Paul den Weg weitergehen, den sie mit Johann eingeschlagen hatte? Diese ständige Frustration, dass es nicht klappte, die verzweifelte Suche nach Lösungen? Das konnte keine Liebe aushalten, und eine frische sowieso nicht. Sie musste es ansprechen, und zwar schnell, ohne langes Zögern. Er wusste schließlich, warum sie hier oben war; es würde ihn also nicht erstaunen.
    Sie drehte sich weg und blickte in den Raum hinein. Ihm dabei in die Augen zu sehen wäre ihr schwergefallen. Sie wollte nicht zu jämmerlich wirken.
    »Was du hier siehst …«, begann sie zögernd, »… es kann sein, dass es bei mir nie klappt … ich weiß nicht, ob ich jemals …«
    Sie brach ab.
    Paul sagte eine Weile nichts. Ich habe es vermasselt, dachte Sophie im Stillen und merkte, wie alles in ihr gefror. Wir haben uns noch nicht mal geküsst – und ich spreche schon über Kinder. Was bin ich nur für eine Besessene! Wir kennen uns doch gar nicht. Der hält mich jetzt für total meschugge. Ich bin ein Psycho. Ich bin durchgeknallt, getrieben von diesem Thema, und behellige alle damit. Mit Johann ist es zu Ende, mit Paul wird es nie beginnen. Das Schweigen hielt an. Gut, dachte sie jetzt, dann steht eben meine Arbeit im Zentrum. Ich verdiene gutes Geld, ich werde viel reisen, vielleicht kann ich ja ehrenamtlich bei irgendeinem Sozialprojekt helfen. Lesepatin in Neukölln. Oder Psychotante für Teenie-Mütter in Marzahn. Es gibt doch so viele Kinder auf der Welt, die Hilfe brauchen. Ein neues Hobby wäre auch nicht schlecht. Zumba? Urban Golf? Snowboarding?
    Sie spürte, wie Paul sich ihr zuwandte. »Schau mich an«, sagte er, sein Ton war sehr ernst.
    »Sophie, ich will dich. So, wie du bist. Du hast mich umgehauen – seit diesem Tag im McDonald’s ist mein Leben nicht mehr wie vorher. Keine Ahnung, was kommen wird, aber eines weiß ich – dich möchte ich nicht missen. Nicht noch einmal verlieren, zwei Wochen waren genug. Das ist mehr, als ich jemals zuvor für eine Frau gespürt habe. Für mich reicht das.«
    »Aber wenn du eines Tages doch ein Kind willst? Ich meine, Männer haben ja viel länger die Möglichkeit.«
    Paul zuckte mit den Schultern.
    »Es gibt viele kinderlose Paare, tolle kinderlose Paare – deine Mathilde Freud war doch auch so eine mit ihrem Robert. Warum wir nicht? Ich mache mir keine Sorgen, dass uns die Ideen ausgehen, was wir mit unserer gemeinsamen Zeit anfangen. Und ja, wir Männer können noch im Luis-Trenker-Alter Vater werden – dann ist man bei der Einschulung des Kindes taufrische neunzig Jahre. Und vielleicht setzt irgendwann im hohen Alter noch so ein darwinistischer Drang bei mir ein, dass meine Gene unbedingt auf der Erde verstreut werden müssen. Aber bislang sehe ich das ganz gelassen.«
    Er streichelte ihre Wange.
    »Hör auf, so viel nachzudenken. Du kannst nicht alle Gefahren und Tücken vorher ausschließen, so ist das Leben nicht. Aber was hast du zu verlieren? Nichts! Vertrau mir – so wie du mir an der Wand vertraut hast.«
    Ja, das stimmte. Sie hatte ihm an der Wand vertraut, daran hätte sie eigentlich die ganze Zeit schon denken können. Wenn sie sich damals nicht auf seinen festen Griff verlassen hätte, wäre sie hinabgestürzt. Man muss sich auch retten lassen wollen. Sie hatte es gewollt.
    Und ja, er hatte recht. Sie konnte nicht alles vorher abklären. Er wusste von ihrer Lage, das war nun ausgesprochen. Sie hatte ihn
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